Ein Elefant im Mückenland
gesetzestreuen Bürgers erworben, Geld genug hatte er ja gehabt. Sein Sohn hatte nach dem Tod des Schmuggler-Vaters das Gut weitergeführt. Er und seine Frau hatten eine hübsche Tochter bekom-men, die sie Kaarina genannt hatten, und da es in der Familie die Berühmtheit namens Maunu gab, hatten die Leute das Mädchen scherzhaft nach der vom Lande stammenden Gattin des einstigen schwedischen Königs genannt.
Kaarina war insoweit eine Herrscherin, als sie sich nicht mit der Rolle einer gewöhnlichen Landfrau und Bäuerin begnügte. Sie nahm sich das Recht zu ent-scheiden, ob auf den Feldern ihres Gutes ein Elefant herumstapfen durfte oder nicht. Sie hing an dem Gut, an seiner Größe, an dem gediegenen Leben, an ihrem eigenen Status als wohlhabende Frau.
Taisto Ojanperä wiederum besaß eine geräumige Wohnung im Obergeschoss seines Ladens. Sie bestand aus einem großen Wohnzimmer und drei weiteren Räu-men, außerdem gab es noch eine gesonderte kleine Einzimmerwohnung, vorgesehen für die Ladengehilfen, in der jetzt Lucia Lucander wohnte. Taisto und Lucia hatten gemeinsam ein leckeres Sonntagsmahl zuberei-tet, aber diesmal nicht nach einheimischer Tradition, sondern sie boten ostfinnische Delikatessen, angefangen vom Rogen kleiner Maränen und verschiedenen Salzfi-schen bis hin zum karelischen Braten. Lucia Lucander stammte ja aus Ostfinnland, nicht direkt aus Karjala, sondern aus Lemi in der Nähe von Lappeenranta. Sie hätte am liebsten eine dortige Spezialität gemacht, aber in Satakunta hatte sie nicht die Möglichkeiten dafür, nicht einmal der erforderliche hölzerne Trog war aufzu-treiben.
Die Gäste stiegen am Nachmittag ins Obergeschoss hinauf. Die ostfinnischen Delikatessen regten nicht nur den Gaumen, sondern auch den Geist an, die Gäste langten ohne Scheu zu, und bald war der Raum erfüllt von begeisterten Ausrufen und fröhlichem Geplauder. Tierarzt Seppo Sorjonen hatte das Buch Huf- und Rüs-seltiere von Wolfgang Puschmann mitgebracht, das er kennen gelernt hatte, als er in den 1980er Jahren an der Berliner veterinärmedizinischen Fakultät studiert hatte. Er hatte zu Hause in seinem Fachbuchbestand gestöbert und dabei das besagte Werk gefunden. Unter der Woche hatte er einige Passagen ins Finnische über-setzt, und die las er während der Mahlzeit vor. Die Gäste erfuhren zum Beispiel, dass die Risthöhe eines ausge-wachsenen Elefanten im Allgemeinen mehr als drei Meter betrug und dass Emilia zwar auf der Güterwaage der sibirischen Eisenbahn mit 3600 Kilo gewogen wor-den war, dass es aber die mächtigsten Tiere unter Um-ständen bis auf sieben Tonnen brachten.
»Die Elefanten haben einen großen Kopf, die innere Schädeldecke, die das Gehirn umschließt, besteht aus schwammähnlich poröser, dünner Knochensubstanz. Die Hohlräume sind teils mit Schleimhaut ausgekleidet und dienen der Riechwahrnehmung.«
Erst jetzt begriff Sorjonen, dass er einen Text vorgele-sen hatte, der nicht recht zu einem Festmahl passte. Informationen über die Schleimhäute der Elefanten waren sicher nicht dazu angetan, den Appetit zu för-dern. Also entschuldigte er sich und erzählte von den Augen der Elefanten.
»Die Augen der Elefanten sind mit weichen, langen Wimpern bedeckt. Dank dieser Wimpern haben die Tiere einen irgendwie sanften und rührenden Blick. Es heißt, dass Elefanten weinen können. Darüber wird weltweit
viel diskutiert.«
Emilia besaß, wie alle Elefanten, große und fächerar-tige Ohren. Sorjonen erklärte, dass die Tiere, wenn sie mit ihren großen Ohren fächelten, ihren Kreislauf ab-kühlen und so die extreme Nachmittagshitze in ihrer Heimatregion besser ertragen konnten. Andererseits wedelten sie, wenn sie wütend wurden, mit ihren Ohren, um so dem Feind Angst zu machen und ihn zu ver-scheuchen, und wenn das nicht half, rannten sie frontal auf ihn zu. Wer dann nicht rechtzeitig die Flucht ergrei-fen konnte oder nicht mit einem Elefantengewehr ausge-rüstet war, war verloren.
Lucia wies darauf hin, dass die Elefanten zwar steif und nach Meinung mancher Leute rührend plump wirkten, dass sie sich aber im Ernstfall erstaunlich flink bewegen und nahezu jeden Feind vernichten konnten. Ein großes Tier konnte ein ganzes Haus unter sich zermalmen oder einen Bus umkippen, wenn es ihm einfiel.
Nach der Mahlzeit setzte Sorjonen seine Ausführun-gen über den Körperbau der Elefanten fort:
»Oberlippe und Nase sind zu einem Rüssel umgebil-det, in diesem befindet sich also kein eigentlicher Mund,
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