Ein Elefant im Mückenland
Sattel-schlepper wiederum würde der Transport viel zu teuer. Außerdem war es in dem Auflieger stockdunkel, und Emilia würde garantiert krank werden, wenn sie nicht nach draußen sehen und auf dem schaukelnden An-hänger ihr Gleichgewicht nicht halten könnte. Sie würde möglicherweise sogar im Dunkeln an Platzangst sterben.
Am billigsten und im Sommer sicher auch am ein-fachsten wäre es, Emilia durch Südfinnland, von Satakunta nach Karjala, laufen zu lassen. Das wäre sogar günstig für sie, denn unterwegs bekäme sie wieder Berührung mit der lebendigen und gewissermaßen auch wilden Natur, wenngleich natürlich die finnische Wald- und Seenlandschaft ganz anders war als die afrikani-sche Savanne.
Lucia war also gewillt, Emilia die Strecke selbst zu-rücklegen zu lassen, und Paavo versprach, sich unter-wegs um das Futter zu kümmern. Er könnte sich, wenn er die im Mai anfallenden Arbeiten erledigt hatte, der Expedition anschließen. Taisto Ojanperä empfahl den beiden, ein Mobiltelefon zu kaufen, wie er eines besaß. Es hatte sich als Kommunikationsmittel ausgezeichnet bewährt.
Kaarina machte ihren Mann darauf aufmerksam, dass er, wenn er tatsächlich den Elefanten bis ans Schiff begleiten wollte, zuvor die Frühjahrsarbeiten wie Pflügen und Säen abgeschlossen haben müsste, und gegen Ende des Sommers, vor der Ernte und den Herbstarbeiten, müsste er wieder zurück sein.
»Ist klar, und für den Sommer stellen wir ein paar Knechte ein, außerdem können wir uns von der Agrar-schule Jokioinen einen Studenten holen, der den Trak-tor fährt«, plante Paavo.
Laila Länsiö berechnete anhand der Landkarte, dass die Entfernung nach Lappeenranta vierhundert Kilome-ter betrug. Durch die Wälder wäre der Weg natürlich viel länger, aber Lucia fand, dass Emilia diese Wanderung durchaus zuzumuten war.
»Wir werden nachts wandern, damit sich nicht Scha-ren von Neugierigen an ihre Fersen heften.«
»In der Tat, das machen wir«, sagte Paavo begeistert. »In Finnland gibt es schließlich noch genug Wälder!«
PROBEAUSFLUG AN DEN SEE
Landwirt Paavo Satoveräjä widmete sich in diesem Jahr eifriger als sonst der Frühjahrsbestellung. Er erledigte Pflügen, Bodenbearbeitung und Saat in Rekordzeit, und nebenbei hatte er noch Zeit und Kraft genug, sich um seinen neuen Liebling Emilia zu kümmern. Er fuhr ganze Anhänger voller Rüben und Kartoffeln, Getreide und Halmfutter zur Glasfabrik. Seine Frau Kaarina belächelte seinen Eifer, aber manchmal kam ihr doch der Gedanke, dass da nicht nur Tierliebe im Spiel war. Die Zirkusprimadonna Lucia Lucander war jung und vor allem attraktiv, hatte die Welt aus unterschiedlichster Warte erlebt und gesehen. Aber sie besaß keine lehmi-gen Satakunta-Felder. In diesem Sinne war sie harmlos, mochte sie auch vielleicht auf gefährliche Weise anzie-hend wirken, zumindest in den Augen eines dummen Bauern.
Emilia fraß jeden Tag bis zu zweihundert Kilo Futter. Paavo wunderte sich darüber und sprach Tierarzt Seppo Sorjonen darauf an, als sie zufällig in der Glasfabrik zusammentrafen, wohin beide gekommen waren, um Emilia und Lucia zu besuchen.
Seppo Sorjonen war mittlerweile ein rechter Elefan-ten-Spezialist, denn er hatte die einschlägige Literatur studiert und sich eingehend mit dem Körperbau, ja sogar mit dem Wesen dieser bemerkenswerten Tiere befasst. Er erzählte, dass den Elefanten die Eckzähne fehlten. Aus den Vorderzähnen des Oberkiefers hatten sich zwei noch oben gebogene Stoßzähne entwickelt. Bei Emilia waren sie besonders prächtig ausgebildet, obwohl sie erst zehn Jahre alt war. Alle Zwischen- und Backen-zähne waren länglich und abgeflacht, irgendwie brotlaib-förmig. Er klappte Emilias Mund auseinander und zeigte auf die großen, klobigen Zähne.
»Dies sind harte, glänzende Platten, die wie Querleis-ten aussehen. Davon haben die jungen Elefanten vier Stück, die alten indischen Elefanten sogar mehr als zwanzig. In jedem Kiefer gibt es nur einen einzigen funktionstüchtigen Zahn, aber dahinter wächst ein zweiter, der mit zunehmendem Alter des Tieres nach-rückt.«
Sorjonen ließ Emilias Mundwerk wieder zuklappen. Die großen Ohren angelegt, drehte sie den Männern ihr gewaltiges Hinterteil zu. Es gefiel ihr eindeutig nicht, dass in ihrem Rachen herumgefummelt wurde.
Seppo Sorjonen berichtete weiter, dass sich die Zähne des Elefanten nur vor und zurück bewegten und das Futter nicht auch in seitlicher Richtung zermahlten, wie es beispielsweise bei den
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