Ein Elefant im Mückenland
seine Artgenossen es nicht in der Herde akzeptier-ten. Das glaubte Lucia Lucander nun gar nicht. Sie sagte, Emilia habe einen verträglichen Charakter, sie komme sowohl mit Menschen als auch mit Tieren gut aus, außerdem habe sie, als sie klein gewesen war, durchaus mit erwachsenen Elefanten zu tun gehabt.
»Auch wenn Emilia von Menschen aufgezogen und ge-zähmt worden ist, würde es ihr bestimmt keine Schwie-rigkeiten bereiten, sich einer Herde wildfremder Elefan-ten anzuschließen.«
Lucia betonte noch, dass Emilia sehr wohl in der Lage sei, sich in jeder beliebigen Herde zu behaupten, sie sei groß, klug und geschickt, und sie werde in der Hack-ordnung oder besser gesagt im Rüsselwettkampf ganz bestimmt nicht den Kürzeren ziehen.
»Ich bin sicher, dass sie in einer Herde weiblicher Tie-re bald die Anführerin sein wird, wenn sie nur erst zeigen kann, was sie draufhat«, behauptete Lucia.
Tauno Riisikkala bestätigte, dass es durchaus so sein mochte, aber es gab noch eine andere ernst zu nehmen-de Gefahr:
»In Afrika gibt es Wilddiebe, die sogar in den Naturre-servaten Elefanten töten, darüber ist ja in den letzten Jahren immer wieder berichtet worden. Man sollte ge-nau überlegen, ob man ihnen extra aus Nordeuropa noch zusätzliche Beute schickt. Emilias Stoßzähne sind für einen weiblichen Elefanten ihres Alters bemerkens-wert groß und somit kostbar, sie sind immerhin fast einen Meter lang und zehn Zentimeter dick.«
Der Preis für Elfenbein war in der Tat ins Unermessli-che gestiegen, das war Fakt, und besonders, seit die Elefantenjagd verboten war. Von der UNO war ein Schutzprogramm ins Leben gerufen worden, das den Handel mit Elfenbein weltweit verbot. Leider stieg da-durch der Preis noch weiter, und somit wuchs auch die Verlockung, Elefanten heimlich zu töten.
Lucia sagte darauf, dass sie sich bereits im Herbst über diese Dinge informiert habe. Zumindest in Südafri-ka gebe es zahlreiche Naturparks, die so streng über-wacht wurden, dass dort keine Wilderei möglich sei. Die Strafen seien streng, die Elefantenherden wurden aus Helikoptern beobachtet und eventuelle Wilderer dingfest gemacht, sowie sie im Naturpark auftauchten.
Die anderen Anwesenden fanden, dass Riisikkalas Sorge berechtigt war, aber war die Alternative, Emilia an den Schlachthof zu verkaufen, etwa besser? Das unbe-greifliche Faible der Chinesen für Elfenbein bedrohte jetzt ganz praktisch die gezähmte Emilia. Ihre Gattung war Millionen Jahre alt, viel älter als der Mensch, der in seiner jämmerlichen Eitelkeit nach den Stoßzähnen des Elefanten trachtete, sie sogar zu Potenzpillen zermahlte.
Man widmete sich nun dem nächsten Problem, näm-lich den Frachtkosten. Kaarina fand, dass Emilias Er-nährung gegenwärtig Unsummen kostete, denn das Tier brauchte pro Tag hundert Kilo Futter oder sogar noch mehr, und das gab es keineswegs umsonst.
Ihr Mann Paavo äußerte, dass man sich darum nicht zu sorgen brauche. Auf Gut Köylypolvi gebe es genug Futter, sogar in Überproduktion. Und sowie Emilia wieder gut und sicher in die Natur zurückgeführt wor-den sei, falle dieser Posten weg. Die Kosten für die Fracht, so glaube er, ließen sich aufbringen, wenn nicht anders, werde er ins eigene Portmonee greifen.
Seine Frau sah ihn scheel an, ihr Blick schien auszu-drücken, dass diese Freigebigkeit auch ihr Portmonee betraf. Zum Streit kam es jedoch nicht. Taisto Ojanperä versprach, sich ebenfalls an den Schiffskosten zu betei-ligen, wenn sie denn einigermaßen im Rahmen blieben.
Wie sollte Emilias Reiseverpflegung zum Saimaa-Kanal geschafft werden? Wie sollte das fast vier Tonnen wiegende Tier vom Kanalschiff auf den großen Ozeanli-ner gelangen, würde es selbst gehen, oder müsste ein Kran eingesetzt werden? Und dann die Hauptfrage: Wie käme Emilia zum Kanal? Sollte man einen großen Sat-telschlepper vom Atomkraftwerk Olkiluoto mieten oder versuchen, sie mit der Bahn nach Lappeenranta zu verfrachten?
Lucia erklärte, dass der Bahntransport nicht in Frage kam, denn die gewöhnlichen finnischen Viehwagen waren für einen Elefanten zu eng. In Russland hatte sie seinerzeit für Emilia einen Spezialwaggon zur Verfügung gehabt, der ursprünglich für den Transport von Panzer-wagen gebaut worden war. Den hatte sie gemietet, und mit ihm war sie auch bis nach Pori gefahren. In Finn-land würden sich wohl kaum Waggons dieser Größe auftreiben lassen, und für die kurze Fahrt extra einen aus Russland zu holen, lohnte nicht. Mit dem
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