Ein Elefant im Mückenland
Kaarina gemangelt hatte: Laken, Kopfkissenbezüge und zwei Decken, au-ßerdem für Paavo ein Pyjama. In die Vorratskiste, die sich hinter dem Baldachin befand, kamen für beide Reiter Handtücher, ferner Paavos Rasierzeug, Seife und andere Hygieneartikel. Lucia packte ihre Schminktasche und weiteren persönlichen Bedarf in die Kiste.
»Beinahe hätte ich die Erste-Hilfe-Tasche vergessen«, rief Kaarina von der Treppe her. Sie brachte das gute Stück und machte darauf aufmerksam, dass sich auch Mückencreme und -öl darin befanden. Für den Elefan-ten hatte sie kein Insektengift gekauft, denn Seppo Sorjonen hatte auf die dicke Haut des Tieres hingewie-sen und gesagt, dass die finnischen Mücken daran nichts ausrichten konnten, außerdem war der Elefant zu groß, um ihn mit Mückenöl einzureiben.
»Das ist einfach überwältigend«, seufzte Lucia, aber Kaarina sagte nur, dass man aus diesem Haus den Hausherrn nicht mit leeren Taschen in die Welt schick-te, und auf Köylypolvi wurde auch sonst nicht gegeizt.
»Paavo übernimmt sämtliche Reisekosten, so war es abgemacht, denke ich.«
Gegen Abend war alles bereit. Lucia gab Emilia wieder den Befehl, niederzuknien, dann stieg sie in den Sattel. Kaarina umarmte ihren Mann und überreichte ihm dann das neueste Handy von Nokia. Paavos altes Handy bekam Lucia, ebenso seine Nummer. Für ihn hatte Kaarina eine neue Nummer besorgt, außerdem hatte sie sich selbst das gleiche Handy gekauft. Ihrem Mann stieg ein Kloß in die Kehle, und er bedankte sich.
»Das ist einfach zu viel«, stotterte er. Der Augenblick war gekommen.
Paavo holte die Landkarte heraus und setzte sich auf die Couch, Lucia trat ans Geländer des Sattels und schnalzte mit der Zunge. Emilia reckte den Rüssel zum Himmel und trompetete munter. Sie war zufrieden, dass es losging, denn nach dem eintönigen Winter in der Glasfabrik sehnte sie sich nach Bewegung. Aus der aufgeregten Stimmung entnahm sie, dass etwas Ange-nehmes bevorstand. Zirkusleute gehen immer mit Be-ginn des Sommers auf Tournee. Kaarina begleitete die Reisenden mit ihrem Auto bis zum See. An der Birkenal-lee, die zu Lallis Denkmal führte, schickte sie ihrem Mann zum Abschied Kusshände und beobachtete noch lange, wie der Elefant durch die von Birken gesäumte schmale Gasse trabte. Sie vergewisserte sich gleichsam, dass die Reisenden auf den Weg kamen. Als das riesige Reittier samt Reitern hinter einer Biegung verschwun-den war, stieg sie in ihr Auto und fuhr nach Hause. Unterwegs führte sie auf ihrem neuen Handy ein Ge-spräch.
Zu Hause, vor dem Hauptgebäude des großen Land-gutes, wartete ein Auto, dem Sportlehrer Tauno Riisik-kala, der drahtige Spritzmeister der Freiwilligen Feuer-wehr, entstieg. Er öffnete den Kofferraum seines Wagens und holte einen zartgelben Blumenstrauß heraus, den er Kaarina mit glühenden Wangen überreichte. Es wa-ren duftende, frühsommerliche Narzissen.
BEGRÄBNIS EINES HUNDES
In den frühen Morgenstunden gelangten die Reisenden nach Kullaa, wo sich ein großes Königsgrab aus der Bronzezeit befindet. Es ist ein mehrere Meter breiter und drei, vier Meter hoher Steinhaufen, ähnlich wie ein steinzeitliches Geröllfeld. Paavo war als Kind mit seinen Freunden manchmal da gewesen, und sie hatten die sonderbaren Steinbrocken umgedreht, ohne zu begrei-fen, dass darunter die Gebeine zahlreicher Stammesfüh-rer ruhten.
Paavo hielt Lucia einen Vortrag über jene alten Zeiten, und sie lauschte aufmerksam. Auch ihr früherer Zug-diener Igor hatte ihr auf den Bahnfahrten in Sibirien von den alten Zeiten in Russland erzählt, als es noch Mystik und Hexerei gab. Mit der Gelehrigkeit des Zirkuselefan-ten lauschte auch Emilia und ließ sich auf das Spiel ein. Sie fing an, die Steine auf dem Königsgrab nach ihrem Geschmack umzuschichten, und Lucia und Paavo ließen sie gewähren. Der Rüssel eines Elefanten ist weitaus geschickter als ein menschlicher Arm. Er hat sich aus Oberlippe und Nase gebildet, ist in die Länge gewachsen und hat sich zu einem großartigen Glied entwickelt, das keine Knochen hat, aber kräftiger als der Schenkel eines Pferdes ist. Am Ende des Rüssels befinden sich zwei fingerähnliche Ausbuchtungen. Mit den beiden im Rüs-sel befindlichen Nüstern kann der Elefant Wasser trin-ken, Erde oder Kies aufsaugen und die kompliziertesten Dinge tun. Der Rüssel ist eine gefährliche Kampfwaffe, aber auch ein sensibles Witterungsorgan, genauso scharf wie die Nase des Wolfes. Der Rüssel schlängelt, dreht
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