Ein Elefant im Mückenland
versuchte Emilia zu beruhigen, aber die war so außer sich, dass sie nicht mal auf ihre Pflegerin hörte.
In ihrer Verzweiflung entschloss sich Emilia, auf das Dach des Erdkellers zu steigen, vielleicht hätte sie dort wenigstens für einen Moment vor dem Quälgeist Ruhe. Aber das hätte sie nicht tun dürfen, denn das Dach des
Kellers hielt den vier Tonnen Lebendgewicht eines Ele-fanten nicht stand. Krachend brach Emilia durch das Dach und landete auf dem Boden des Kellers. Sie stieß ein verdutztes Gebrüll aus und stand hilflos in dem engen Verlies, nur der Rüssel, der Kopf und der Rücken samt Sattel ragten aus der zerstörten Öffnung.
Der Köter geriet durch die überraschende Wendung noch mehr außer Rand und Band. Er sprang in dem Sattel herum, pinkelte auf die Schlafcouch, biss Emilia ins Ohr. Aber in seinem grenzenlosen Eifer vergaß er für einen Moment seine Vorsicht und fiel selbst in den Keller. Ohrenbetäubendes Jaulen war zu hören, als er auf dem Betonboden aufschlug, aber bald hatte er sich erholt und setzte im Dunkeln sein schrilles Gekläff fort. Er war ein tapferer Kerl, ließ sich durch die riesige Größe des Gegners nicht beeindrucken, gab nicht nach. Emilia tänzelte nervös in dem engen Verlies herum, bemühte sich jedoch, nicht auf den Quälgeist zu treten. Lucia und Paavo versuchten den Hund aus dem Keller zu locken, aber er hörte nicht. Und so kam es dann natürlich dazu, dass das kleine Tier unter den Fuß des Elefanten geriet und zerquetscht wurde. Lautes Gejaule war zu hören, und damit endete der Lärm.
In diesem Moment traten Bauer und Bäuerin aus dem Haus. Ersterer trug ein Elchgewehr unter dem Arm. Sie kamen zum Erdkeller.
»Wir sind die Riekkinens, Tauno und Eeva«, stellte die Bäuerin sich und ihren Mann vor.
Der Bauer wollte wissen, ob der Elefant gefährlich war und ob man ihn womöglich erschießen musste. Lucia erklärte ihm, dass Emilia zahm und völlig ungefährlich war, sie war nur durchgegangen, weil ein wütender streunender Hund sie angegriffen hatte. Die Bäuerin wagte sich näher heran und tätschelte Emilias Rüssel. Die hatte sich inzwischen beruhigt und schien zu be-greifen, dass es am klügsten war, still dazustehen. Der Versuch, herauszusteigen, war zwecklos, sie hatte nicht die Kraft, einen solchen Riesensatz zu machen. Sie war ein Elefant und kein Känguru.
Paavo und der Bauer angelten den wütenden Kämpfer aus der Höhle. Es war Rekku, der Mischlingshund des Nachbarn, eigentlich ein liebes Tier, aber manchmal recht angriffslustig. Der Hundekadaver sah aus wie ein behaarter Eierkuchen, hätte so, wie er war, in einen Aktenkoffer gepasst.
Lucia redete beruhigend auf Emilia ein, und Eeva brachte ihr einen Eimer mit Wasser, den sie sofort leer-te.
Unterdessen rief Paavo zu Hause an und berichtete seiner Frau, dass sich Emilia wieder angefunden hatte und dass alles in Ordnung war. Kaarina seufzte vor Erleichterung. Der Spritzmeister konnte bleiben. Abends würden sie zusammen in die Sauna gehen.
Bauer Tauno Riekiinen erklärte, dass sie für den Ele-fanten eine stabile Schräge bauen mussten, damit er aus eigener Kraft wieder aus dem Keller herausgelangte. Sie machten sich sofort ans Werk und holten mit dem Traktor Stämme aus dem Wald, die der Sturm im letzten Winter gefällt hatte. Jetzt waren sie von Nutzen. Mit dem Bau der Schräge wollten sie am nächsten Morgen begin-nen. Elefanten halten es ja gut im Stehen aus, notfalls eine ganze Woche, sie schlafen auch in dieser Stellung, sodass Emilia die Nacht durchaus in dem eingestürzten Keller verbringen konnte. Lucia und Paavo beschlossen, zur Gesellschaft im Sattel zu schlafen.
Ein paar Nachbarskinder kamen angelaufen und er-zählten, dass Rekku weggelaufen sei. Dann entdeckten sie den Hundekadaver im Gras und fingen an zu wei-nen. Das kleinste Kind, ein Mädchen, war erst vier, der Bruder war ein Jahr älter, die große Schwester zehn. Lucia und Eeva hoben den Kadaver auf und legten ihn in einen Pappkarton. Die Kinder beschlossen, für ihren Rekku ein Begräbnis zu veranstalten. Paavo und Tauno hoben am Waldrand ein Grab aus, und Eeva versprach, den Begräbniskaffee zu kochen. Die Kinder rannten nach Hause, um dort von dem schrecklichen Ereignis zu berichten, und Eeva forderte sie auf, auch ihre Eltern zu der traurigen Zeremonie einzuladen.
Rekkus Begräbnis wurde eine rührende Veranstal-tung. Anwesend waren die Nachbarsleute und eine größere Anzahl von Dorfkindern. Auf den Pappkarton mit dem
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