Ein endloser Albtraum (German Edition)
einer der mutigeren Momente in meinem Leben war. Ein Soldat hätte in unmittelbarer Nähe stehen können. Es war aber niemand zu sehen. Vor mir breitete sich nackter Boden aus, braun und feucht. In ungefähr fünfzig Meter Entfernung konnte ich die Lastwagen sehen, die aus meiner Sicht riesig und tödlich wirkten. Ich rutschte ein wenig weiter unter dem Gestell hervor und beugte mich nach links. Von dort konnte ich in den dunklen Geräteschuppen sehen. Ein Traktor stand da und eine Dreschmaschine und ein alter Geländewagen. Weiter hinten waren Wollballen gestapelt. Ich konnte niemanden sehen, aber ich hörte das Scheppern von Werkzeugen und das Murmeln von Stimmen im hintersten Winkel.
Ich zögerte noch ein paar Sekunden, dann holte ich tief Luft, spannte meine Muskeln an, als befände ich mich bei einem Schulwettrennen und wartete auf den Startschuss, und rannte völlig geräuschlos im Schutz des Traktors auf die Ballen zu. Wenn ich auf meinem Hintern ein Wattebäuschchen gehabt hätte, hätte man mich für einen Hasen halten müssen. Als ich bei den Ballen war, wartete ich wieder; zitternd drückte ich mich gegen die glatte Oberfläche der Wolle. Die Stimmen sprachen weiter, sie schwollen an und sanken wieder wie ein Fluss. Einzelne Worte konnte ich nicht verstehen, aber es war deutlich zu hören, dass die Unterhaltung auf Englisch geführt wurde. Ich kroch seitlich an den Ballen vorbei, immer den Eingang im Auge, falls jemand kam. An der Ecke der Ballen hielt ich wieder an. Jetzt konnte ich die Stimmen deutlich hören. Ich zitterte am ganzen Körper und schwitzte und meine Augen füllten sich mit Tränen, als ich eine der Stimmen erkannte. Sie gehörte Ms Mackenzie, Corries Mum. Mein erster Instinkt war, wie ein kleines Kind laut loszuheulen. Das war eine Schwäche, der ich nicht nachgeben durfte. Sie gehörte in die alten Zeiten, die Tage der Unschuld, als wir ein Watteleben führten. Diese Zeiten waren genauso verloren wie die Papiertaschentücher und Plastiktüten aus dem Supermarkt und die Feuchtigkeitscremes – der ganze nutzlose Luxus, der vor dem Krieg so selbstverständlich gewesen war. Nicht nur das, wir hatten sogar gedacht, dass er wichtig war. Jetzt war er so fremd und undenkbar wie der Luxus, wegen einer vertrauten Stimme vor Erleichterung zu weinen.
Corries Mum. Ms Mackenzie. An ihrem Küchentisch muss ich mindestens eintausend Tassen Tee getrunken und fünftausend Stück Teekuchen verdrückt haben. Sie hat mir beigebracht, wie man Toffees macht, wie man Weihnachtsgeschenke verpackt und wie man ein Fax schickt. Ihr habe ich von meiner sterbenden Katze erzählt, von meinem Schwärmen für Mr Hawthorne und meinem ersten Kuss. Wann immer ich meine Eltern besonders unerträglich oder frustrierend fand, habe ich mich bei ihr ausgeweint und sie hörte sich alles an, als wüsste sie genau, wie ich mich fühlte.
Ich spähte um die Ecke der Ballen. Der hintere Winkel des Schuppens war gut sichtbar. Ich sah die Werkbank und die Werkzeuge, die fein säuberlich an der Wand befestigt waren. Obwohl der Arbeitsbereich ohne elektrischen Strom im Dunkeln lag, konnte ich zwei Leute erkennen, die an der Werkbank standen und arbeiteten. Ein Mann, der mit seinem Rücken zu mir stand und mit irgendetwas beschäftigt war. Von hinten konnte ich ihn nicht erkennen, aber er interessierte mich ohnehin nicht. Meine ganze Aufmerksamkeit galt Ms Macca. Ich behielt sie hungrig im Auge, doch im selben Moment spürte ich den ersten nagenden Zweifel. Sie stand seitlich zu mir und war mit einem Vergaser beschäftigt, den sie mit einer Zahnbürste reinigte. Ihr Gesicht lag im Schatten. Ich konnte kaum glauben, dass das Ms Mackenzie sein sollte. Diese Frau war alt und dünn, das graue Haar fiel ihr lang und strähnig auf die Schultern. Die Ms Mackenzie, an die ich mich erinnerte, war mittleren Alters und auf eine angenehme Art mollig gewesen und hatte einst wie ihre Tochter rotes Haar gehabt. Während ich sie unentwegt anstarrte und verzweifelt nach einer Ähnlichkeit suchte, spürte ich, wie meine Enttäuschung der blanken Wut Platz machte. Ich dachte wirklich, dass sie jemand anderer war. Doch mit der Zeit begann ich in ihrem Gesicht Spuren von Ms Mackenzie wiederzuerkennen, an der Art, wie sie stand und wie sie sich bewegte. Dann legte sie die Zahnbürste weg, strich sich das Haar aus den Augen und nahm einen Schraubenzieher zur Hand. Und an der Bewegung ihrer Hand, wie sie sich das Haar aus dem Gesicht strich, erkannte ich
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