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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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finanzieren, beschimpfte sie einen als widerlichen Neokolonialisten und überschüttete einen mit einem so aufgebrachten Redeschwall, dass man es bedauerte, sich auf dieses Terrain gewagt zu haben.
    An jenem Nachmittag hatte er sein Büro früher als sonst verlassen. Mallory wollte den monatlichen Besuch bei ihren Eltern machen. Für gewöhnlich nahm sie Bonnie mit, aber da die Kleine eine Angina hatte, sollte sie in New York bei ihrem Vater bleiben.
    Mallory wollte das Flugzeug um sechs Uhr abends nehmen. Als Nathan nach Hause kam, war sie am Gehen. Sie umarmte ihn flüchtig und rief ihm in der Eile noch so etwas zu wie: »Ich habe alles vorbereitet, du brauchst nur die Fläschchen in der Mikrowelle aufwärmen. Und vergiss nicht, dass er sein Bäuerchen machen muss …«
    Er war also mit den beiden Kindern allein. Für Bonnie hatte er seine Geheimwaffe: das Video von La Belle et le Clochard. Eine von Mallorys Marotten bestand nämlich darin, Disney zu boykottieren, weil Mickey Maus angeblich seine Produkte über Zwischenhändler in China oder Haiti herstellen ließ, wo Kinder schamlos ausgebeutet wurden. Doch dieser Akt des zivilen Ungehorsams war nicht nach Bonnies Geschmack, weil sie deshalb auf viele Zeichentrickfilme verzichten musste.
    Ihr Vater hatte ihr also die Kassette gegeben, sie schwören lassen, dass sie ihn nicht bei ihrer Mutter verpetzte, und sie saß höchst zufrieden im Wohnzimmer und schaute sich ihren Film an.
    Nathan hatte Sean in seine Wiege gelegt und sie neben seinen Schreibtisch gestellt. Sean war ein ruhiges, gesundes Baby. Gegen neunzehn Uhr hatte er ein Fläschchen getrunken und war wieder eingeschlafen. Normalerweise kümmerte Nathan sich gern um die Kinder. Doch an jenem Abend fehlte ihm die Zeit, es zu genießen. Er arbeitete an einem wichtigen und schwierigen Fall. Im Übrigen war er inzwischen Spezialist für wichtige und schwierige Fälle geworden, weshalb er immer häufiger Akten mit nach Hause nahm. Er kam zurecht, wenn auch mit Mühe.
    Nachdem Bonnie ihren Trickfilm gesehen hatte, wollte sie etwas zu essen haben. (Spaghetti natürlich. Was konnte man nach diesem Film auch anderes essen?) Nathan hatte ihr das Essen vorbereitet, fand aber keine Zeit, mit ihr zu essen. Dann war sie widerspruchslos zu Bett gegangen.
    Die nächsten vier Stunden hatte er durchgearbeitet, gegen Mitternacht gab er Sean ein letztes Fläschchen, dann ging er schlafen. Er war todmüde und wollte am nächsten Morgen früh aufstehen. Sean war verlässlich wie eine Uhr. In seinem Alter schlief er die Nacht schon durch, sodass Nathan überzeugt war, mindestens bis sechs Uhr Ruhe zu haben.
    Doch am nächsten Morgen fand er nur den leblosen Körper seines kleinen Sohnes, der auf dem Bauch in seiner Wiege lag, vor. Als er das kleine federleichte Wesen hochhob, entdeckte er auf dem Laken ein wenig roten Schaum. Er war wie gelähmt vor Entsetzen, denn er hatte sofort begriffen, was geschehen war.
    Sean war lautlos gestorben, davon war er überzeugt. Nathan hatte einen leichten Schlaf, und er hatte kein Weinen, keinen Schrei gehört.
    Heutzutage ist der plötzliche Säuglingstod natürlich ein bekanntes Phänomen. Wie alle Eltern waren Mallory und Nathan darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Baby nachts nicht auf dem Bauch liegen sollte, und sie hatten immer die Empfehlungen des Kinderarztes befolgt und Sean auf den Rücken gelegt …
    Sie hatten auch darauf geachtet, dass das Gesicht des Babys immer frei lag, die Zimmertemperatur nicht zu hoch war (Mallory hatte einen Spezialthermostat einbauen lassen, der die Temperatur auf 20   Grad Celsius hielt) und die Matratze nicht verrutschte (sie hatten die teuerste gekauft, die alle Sicherheitsnormen erfüllte). Konnte man noch mehr tun?
    Man hatte ihm die Frage mehrere Male gestellt: Hatte er das Baby auf den Rücken gelegt? Aber ja! Ja! Wie immer. Hatte er behauptet. Aber genau genommen, erinnerte er sich nicht an den Augenblick, in dem er Sean schlafen gelegt hatte. Er sah die Szene nicht mehr im Geiste vor sich. Das Einzige, woran er sich genau erinnern konnte, war, dass er an diesem verfluchten Abend voll und ganz in seine Arbeit vertieft gewesen war. Er hatte sich mit der vermaledeiten Akte beschäftigt, bei der es um den finanziellen Vergleich zwischen zwei Fluggesellschaften ging.
    In seinem ganzen Leben als Vater hatte er nie eines seiner Kinder auf den Bauch oder auf die Seite gelegt. Warum hätte er es an jenem Abend tun sollen? Es war unmöglich. Er

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