Ein Engel im Winter
sich ihre Schürze um und begann zu bedienen.
»Hallo, Ted, was darf ich dir bringen?«
20.46 Uhr
»Du hast einen Verehrer, meine Schöne.«
»Was redest du da für Unsinn, Tammy?«, konterte Candice.
»Ich sag nur, du hast einen Verehrer. Dieser gut gekleidete Typ am anderen Ende des Tresens starrt dich die ganze Zeit an, seit du hereingekommen bist.«
»Du redest dummes Zeug, meine Liebe«, erwiderte Candice und zuckte die Schultern.
Sie lud sich ein Tablett voller Biergläser auf, warf jedoch einen Blick zur Theke, bevor sie sich auf den Weg machte. Der Mann ließ sie nicht aus den Augen. Sie hatte ihn noch nie hier gesehen. Er wirkte weder wie ein Bulle noch wie ein Feuerwehrmann.
Flüchtig kreuzten sich ihre Blicke und »etwas« geschah.
»Hoffentlich denkt er nicht, ich will ihn anmachen« , überlegte Candice.
»Hoffentlich denkt sie nicht, ich will sie anmachen« , überlegte Nathan.
Seit er hier war, grübelte er, wie er die junge Frau ansprechen könnte. Auch wenn er gegenüber Garrett das Gegenteil behauptet hatte, machte er sich in Wirklichkeit Sorgen um sie. Er musste unbedingt herausfinden, ob es irgendetwas in Candices Leben gab, das einen baldigen Tod befürchten ließ. Aber wie sollte man an einem Freitagabend in einer solchen Bar ein Mädchen ansprechen außer in einem flapsigen Ton?
21.04 Uhr
»Sind Sie das erste Mal hier?«, erkundigte sich Candice.
»Ja. Ich bin Anwalt in Manhattan.«
»Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«
»Nein, danke, ich muss bald weiterfahren.«
Candice näherte sich Nathan und flüsterte ihm lächelnd zu:
»Wenn Sie kein zweites Bier bestellen, wird sich der alte Joe ärgern und Sie vielleicht auffordern, die Bar zu verlassen, weil Sie den Platz am Tresen blockieren.«
»Nun gut, dann nehme ich eben noch ein Bier.«
21.06 Uhr
»Er ist gar nicht so übel«, bemerkte Tammy und öffnete mehrere Flaschen Budweiser mit atemberaubender Geschwindigkeit.
»Hör auf mit dem Blödsinn, bitte.«
»Du kannst sagen, was du willst, es ist nicht normal, dass eine hübsche junge Frau in deinem Alter unverheiratet ist.«
»Im Augenblick brauche ich keinen Mann in meinem Leben«, versicherte Candice.
Als sie dies sagte, erinnerte sie sich resigniert an ihre letzten Affären. Um ehrlich zu sein, keine war wirklich ernst gewesen. Hie und da ein Flirt, aber nie etwas Dauerhaftes, das in ihr den Wunsch geweckt hätte, eine Familie zu gründen. Flüchtig dachte sie an Joshs Vater, einen Handelsvertreter, den sie eines Abends bei einer alten Freundin aus Highschool-Zeiten kennen gelernt hatte. Warum ließ sie sich von diesem Mann schwängern? Was hatte sie erwartet? Sicher, er war sympathisch und wortgewandt, aber Candice fiel nicht darauf rein. Sie erinnerte sich, dass sie an jenem Abend den verzweifelten Wunsch verspürt hatte, sich im Blick eines Mannes wiederzufinden. Dieses illusorische Verlangen sollte nur eine Nacht lang dauern, und zu ihrer großen Überraschung hatte sie einige Zeit später festgestellt, dass sie schwanger war. Das bewies wieder mal, dass kein Verhütungsmittel hundertprozentig sicher war. Doch sie empfand keine Bitterkeit, denn diese Episode hatte ihr das größte Geschenk ihres Lebens beschert: ihren Sohn Josh. Sie hatte den Vater des Kindes über ihre Schwangerschaft informiert, aber weder Hilfe noch Alimente von ihm verlangt. Sie bedauerte lediglich, dass er niemals den Wunsch geäußert hatte, seinen Sohn zu sehen. Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, einen Mann an ihrer Seite zu haben, um ihren Sohn großzuziehen, aber es war, wie es war. »Vergeben und vergessen«, wie ihr Vater zu sagen pflegte.
21.08 Uhr
»Ihr Bier, bitte.«
»Danke.«
»Was führt Sie hierher, Herr Anwalt aus Manhattan?«
»Nennen Sie mich Nathan.«
»Was suchen Sie in unserer Bar – Nathan?«
»Um ehrlich zu sein, bin ich hier, um mit Ihnen zu reden, Candice.«
Sie wich einen Schritt zurück.
»Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte sie misstrauisch.
»Alle Stammgäste nennen Sie Candice«, stellte er grinsend fest.
»Okay«, gab sie etwas milder gestimmt zu, »ein Punkt für Sie.«
»Hören Sie«, fuhr er fort, »können wir, wenn Sie hier fertig sind, noch irgendwo anders was trinken?«
»Sie verplempern Ihre Zeit mit mir«, versicherte sie ihm.
»Ich will Sie nicht belästigen, Ehrenwort.«
»Das will ich auch hoffen.«
»Ihr Mund sagt Nein, aber Ihre Augen sagen Ja.«
»Das ist eine plumpe Anmache, und wenn ich darüber nachdenke,
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