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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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sein.«
    »Aber warum bin ich nicht tot?«
    »Ihre Stunde war noch nicht gekommen, das ist alles.«
    »Aua!!! Das kann doch nicht wahr sein, machen Sie das mit Absicht?«
    »Entschuldigen Sie, meine Hand ist ausgerutscht.«
    »Genau das ist es . Sie halten mich für einen Vollidioten.«
    Der Arzt wiederholte seine Entschuldigungen und machte ihm mit einer antibiotischen Salbe einen dicken Verband. Aber Nathans Neugier war noch nicht gestillt, und er fragte weiter:
    »Kann man solch unmittelbare Todeserfahrung nicht als einen Beweis deuten, dass es ein Weiterleben nach dem Tod gibt?«
    »Bestimmt nicht«, erwiderte der Arzt kategorisch. »Wenn Sie noch leben, dann deshalb, weil Sie nicht tot waren.«
    »Aber wo war ich dann?«
    »Irgendwo zwischen Leben und Tod. Aber noch nicht im Jenseits. Wir können lediglich davon ausgehen, dass neben dem normalen Funktionieren des Gehirns ein anderer Bewusstseinszustand möglich ist.«
    »Aber nichts beweist, dass dieser Zustand von Dauer sein könnte?«
    »Genau«, stimmte der Arzt ihm zu.
    Und wie in der Vergangenheit versuchte er dem Anwalt vertrauliche Mitteilungen zu entlocken.
    »Sagen Sie mir, was für eine Vision Sie hatten, Nathan.«
    Die Miene des Anwalts verdüsterte sich.
    »Ich erinnere mich nicht mehr.«
    »Spielen Sie nicht den kleinen Jungen. Ich muss es wissen, verstehen Sie das denn nicht?«
    Aber Nathan war fest entschlossen, nichts zu sagen.
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich mich nicht mehr erinnere.«
    Goodrich begriff, dass er nichts mehr aus ihm herausbekommen würde. Aber nach alldem war es verständlich, dass er sich weigerte zu reden. Er war beim Ertrinken so haarscharf dem Tod entronnen, hatte eine so ungewöhnliche Erfahrung gemacht, dass es fast normal schien, wenn er einen Teil des Geheimnisses dieses wunderbaren Überlebens für sich behalten wollte.
    Wie um das bleierne Schweigen zu brechen, das sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte, trommelte Goodrich auf seinen Magen und sagte in geradezu jovialem Ton:
    »Was halten Sie von einem kleinen Imbiss?«
    Die beiden Männer saßen am Küchentisch und beendeten ihre Mahlzeit. Garrett hatte mehrmals kräftig zugelangt, während Nathan kaum einen Bissen angerührt hatte.
    Zwanzig Minuten zuvor hatte ein Kurzschluss die Küche in Dunkelheit getaucht. Goodrich hatte sich am Sicherungskasten zu schaffen gemacht, dann aber entschuldigend erklärt, dass er keine Sicherungen vorrätig habe. Er hatte also zwei alte Windlichter angezündet, die ein flackerndes Licht im Raum verbreiteten.
    Der Anwalt wandte den Kopf zum Fenster. Das Wetter beruhigte sich nicht. Der Wind drehte ständig, mitunter schien er von allen Seiten gleichzeitig zu wehen. Alles war so dicht und grau, dass man fast nichts mehr durch die Scheiben erkennen konnte. Es war nicht daran zu denken, das Haus zu verlassen.
    Nathan schüttelte den Kopf und murmelte wie zu sich selbst: »Die Boten …«
    Goodrich zögerte zu reden. Er war sich sehr wohl bewusst, was für einen emotionalen Schock der Anwalt erlitten hatte.
    »Sie zweifeln nicht mehr?«, fragte er behutsam.
    »Ich bin am Boden zerstört. Was glauben Sie denn? Dass ich an die Decke springe, weil ich der Nächste auf der Liste bin?«
    Goodrich schwieg. Was hätte er darauf auch sagen sollen?
    »Ich bin zu jung zum Sterben!«, behauptete Nathan und war sich doch bewusst, dass dies ein schwaches Argument war.
    »Niemand ist zu jung zum Sterben«, erwiderte Garrett ernst. »Wir sterben zur vorgesehenen Stunde, das ist alles.«
    »Garrett, ich bin nicht bereit.«
    Der Arzt seufzte.
    »Wissen Sie, man ist selten bereit.«
    »Ich brauche mehr Zeit!«, rief Nathan und erhob sich vom Tisch.
    Der Arzt wollte ihn zurückhalten.
    »Wohin gehen Sie?«
    »Ich erfriere hier. Ich kehre ins Wohnzimmer zurück, um mich aufzuwärmen.«
    Er wickelte sich in eine karierte Decke, die auf dem Sofa lag, und setzte sich vor den Kamin.
    Der Arzt folgte ihm zwei Minuten später.
    »Sie brauchen eine kleine Aufmunterung«, sagte er und reichte ihm ein Glas Weißwein.
    Nathan leerte es mit einem Zug. Der Wein schmeckte nach Honig und gebrannten Mandeln. »Ich hoffe, Sie versuchen nicht, mich zu vergiften.«
    »Sie scherzen. Das ist ein Sauternes, ein guter Jahrgang!«
    Er hielt die Flasche in der Hand und schenkte sich ein Glas ein. Dann setzte er sich neben den Anwalt.
    Die lodernden Flammen des Kamins tauchten das Zimmer in leuchtendes Rot. Die verzerrten Schatten der beiden Männer tanzten über die

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