Ein Engel im Winter
kündigte die Stewardess an:
»Meine Damen und Herren, wir beginnen jetzt mit dem Landeanflug. Bitte legen Sie Ihren Sicherheitsgurt an und bringen Sie Ihre Rücklehne in senkrechte Position.«
Nathan schaute aus dem Fenster. Er erkannte die Berge und weiter hinten die kalifornische Küste, die eine wüstenartige Trockenheit verbreitete. Bald würde er Mallory wiedersehen.
»Ankunft des Fluges United Airlines Nummer 435 aus Washington. Die Passagiere werden gebeten, den Ausgang Nummer neun zu benutzen.« Da sie kein Gepäck hatten, mussten sie nicht am Flughafen warten. Nathan lieh ein Auto bei Avis, und entgegen allen Erwartungen bestand Goodrich darauf zu fahren.
Das Wetter war anders als in New York: Die Luft war warm, der Himmel wolkenlos und die Temperatur lag bei ungefähr zwanzig Grad. So dauerte es also nicht lange, bis sie Schals und Mäntel ausgezogen und auf den Rücksitz gelegt hatten.
San Diego erstreckt sich über mehrere Kilometer hinweg auf zwei Halbinseln. Nathan bat den Arzt, das Zentrum zu meiden, in dem um die Mittagszeit im Allgemeinen dichter Verkehr herrschte. Er lotste ihn zur Küste, und sie fuhren Richtung Norden, an den Sandstränden entlang, die von Felswänden und kleinen Buchten unterbrochen wurden.
Der Badeort La Jolla war auf einem kleinen Hügel errichtet worden, den man über eine gewundene, von eleganten Häusern gesäumte Küstenstraße erreichte. Goodrich war noch nie in La Jolla gewesen, doch dieser Badeort erinnerte ihn auf den ersten Blick an Monaco und die französische Riviera, die er besucht hatte, als er vor vielen Jahren nach Frankreich gereist war. Hypnotisiert vom spektakulären Blick auf den Ozean, lehnte er sich mehrmals aus dem Fenster, war fasziniert von den riesigen Wellen, die sich an den Felsen brachen und auf denen sich die Surfer tummelten.
»Vergessen Sie nicht, auf die Straße zu schauen!« Der Arzt fuhr langsamer, um die Aussicht und die belebende Meeresluft, die vom Ozean aufstieg, genießen zu können. Er ließ sich von einem lila lackierten Ford Mustang überholen, dem zwei Harley Davidsons folgten, auf denen sechzigjährige Althippies saßen.
»Das süße Leben in Kalifornien, das ist schon eine tolle Sache«, rief Goodrich, während ein Eichhörnchen vor ihnen die Straße überquerte.
Mit seinen Restaurants und kleinen Boutiquen besaß La Jolla in der Tat einen besonderen Charme und ermöglichte einen sehr angenehmen Lebensstil. Die beiden Männer ließen den Wagen an einer Hauptstraße stehen und gingen den Rest des Weges zu Fuß.
Nathan wollte schnell ans Ziel gelangen. Trotz seiner Wunde ging er raschen Schrittes – mit Garrett im Schlepptau.
»Los, verlieren Sie nicht den Anschluss!«, rief er und drehte sich um.
Goodrich war stehen geblieben, um eine Zeitung zu kaufen, und wie gewöhnlich hatte er dabei ein paar Worte mit dem Verkäufer gewechselt.
Immer auf dem Sprung, sich für jemanden zu interessieren, selbst für einen völlig Unbekannten! Dieser Typ ist unglaublich.
»Haben Sie diese Preise gesehen?«, fragte Garrett und deutete auf das Schaufenster eines Immobilienmaklers.
Der Arzt hatte Recht: In den letzten Jahren waren die Mieten in dieser Ecke des Landes explodiert. Zum Glück musste sich Mallory darum nicht kümmern, denn sie lebte in einem Haus, das ihre Großmutter zu einer Zeit gekauft hatte, als La Jolla nur ein Fischerdorf war, für das sich niemand interessierte.
Sie gelangten an die Tür eines kleinen Holzhauses.
»Wir sind da«, sagte er und drehte sich zu Goodrich um.
An der Tür hing ein Schild:
Zutritt für Cyber-Animals verboten.
Das war typisch Mallory. Nathans Herz schlug bis zum Hals, als er an die Tür klopfte.
»Sieh mal an, der gute alte Del Amico.«
Vince Tyler!
Er war auf alles gefasst gewesen, nur nicht darauf, dass Tyler ihm die Tür öffnen würde.
Vince war hochgewachsen und braun gebrannt und trug seine blonden Haare ziemlich lang, was er wohl schick fand. Er trat zur Seite, um sie hereinzulassen, und rang sich dabei ein Lächeln ab, das seine frisch polierten Zähne enthüllte.
Was macht der denn hier, mitten am Tage? Wo sind Bonnie und Mallory?
Nathan versuchte seine Wut zu verbergen, indem er Garrett Tyler vorstellte.
»Deine Tochter wird bestimmt bald nach Hause kommen«, erklärte Vince, »sie ist bei einer Freundin.«
»Ist Mallory bei ihr?«
»Nein, Lory ist oben. Sie zieht sich gerade an.«
Lory? Noch nie hatte jemand seine Frau Lory genannt. Sie mochte solche
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