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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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Gabor sah aus, als würde er mit dem Schlimmsten rechnen, womöglich mit weiteren Kindern von Joschi.
    »Das sind Mami und Hannah«, antwortete ich. »Weißt du, wie sie sich kennengelernt haben?«
    »Gestern war irgendwann von Wohnzimmerschränken die Rede, in denen herumgeschnüffelt wurde«, sagte Gabor. »Ah, jetzt verstehe ich. Holmes und Watson.«
    »Hannah hat zuerst damit angefangen. Als sie ungefähr elf war, fand sie in einer Kommode Kontoauszüge mit Unterhaltszahlungen, dabei hatte ihre Mutter ihr immer erzählt, ihr Vater wäre bei einem Autounfall gestorben, bevor er sie heiraten konnte. Ihre Mutter ist ziemlich ausgerastet, als das rauskam, aber Hannah hat trotzdem durchgesetzt, dass sie sich mit Joschi treffen konnte. Das stimmt doch so, oder?«
    »Völlig korrekt«, bestätigte Hannah. »Und nachdem die Geschichte erst mal auf dem Tisch war, hat Frieda alles nachgeholt und mich gründlich über die wahre Natur meines Vaters aufgeklärt: dass er ein Betrüger war, ein Lügner, ein Verräter, ein Spieler, ein Taugenichts. Einer, der ihr verheimlicht hat, dass er mit einer anderen verheiratet war und nicht nur seine Ehefrau, sondern auch sie, die Geliebte, fast zur gleichen Zeit schwängerte.«
    »Womit sie nicht mal unrecht hatte«, sagte Gabor. »Aber dass er Jude war, dabei ist sie geblieben?«
    »Das war das Einzige, was sie nie in Frage gestellt hätte. Ich konnte schon Bergen-Belsen buchstabieren, bevor ich gelernt habe, eine Schleife zu binden. Statt Bilderbüchern bekam ich von meiner Mutter Fotobände über den Holocaust in die Hand gedrückt. Ich war elf Jahre lang die Tochter eines toten jüdischen Helden, und jetzt war ich plötzlich die Tochter eines lebendigen jüdischen Frauenschänders.«
    Und immer noch genauso einsam wie vorher, dachte ich.
    »Und wie war deine erste Begegnung mit ihm?«
    Wunderbar, es lief von allein. Gabor stellte Fragen, Hannah antwortete.
    »Sehr seltsam. Ich war erschrocken, wie alt er schon war. Er war so anders, als ich ihn mir mein Leben lang vorgestellt hatte. Ich war enttäuscht. Er sprach ein derart verwegenes Deutsch, dass ich ständig nachfragen musste und er immer ungeduldiger wurde. Und trotzdem wollte ich ihm unbedingt gefallen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich auch jüdisch war. Er hat nie darauf reagiert.«
    »Aber von da an habt ihr euch regelmäßig getroffen«, sagte ich schnell, für den Fall, dass Gabor eine ätzende Bemerkung dazu machen wollte.
    »Ja, vielleicht alle zwei, drei Monate. Ich durfte ihm auch schreiben, an eine neutrale Adresse, weil Lotte nicht wollte, dass Marika von mir erfuhr. Aber wir hatten Kontakt bis zu seinem Tod, auch wenn manchmal längere Pausen dazwischenlagen. Nachdem er sich von Lotte getrennt hatte und seine letzten zwei Jahre im Schoß der jüdischen Gemeinde verbrachte, konnten wir sogar übers Judentum sprechen, aber niemals über die Vergangenheit. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich ihm ›Archipel Gulag‹ zum Geburtstag geschenkt habe und er das Buch vor Wut auf den Boden schmiss und darauf herumtrampelte. Nie im Leben wollte er noch mal was über irgendwelche beschissenen Lager lesen, nie wieder. Die Lektion habe ich gelernt.«
    Es gab eine längere Pause. Wir hörten aus Hannahs Tasche dreimal hintereinander den Vibrationsalarm ihres Handys schnarren.
    »Und was war mit Holmes und Watson?«, fragte Gabor und sah meine Mutter an.
    »Oh nee, ich hab das schon so oft erzählt«, sagte sie. »Vielleicht hat Lily ja Lust. Ich höre es mir auch gern mal von außen an.«
    Die Geschichte, wie meine Mutter von Hannahs Existenz erfuhr, gehört zu meinem Basisrepertoire, und sie verfehlt ihre Wirkung nie. Es gibt sie in einer sachlichen Kurzform, die nicht weniger eindrucksvoll ist, und in einer Discoversion mit vielen ausgeschmückten Details. Weil ich sie noch nie in Anwesenheit meiner Mutter erzählt hatte, entschied ich mich für die sachliche Variante, obwohl ich wusste, dass ich die Lizenz zum Ausgestalten hatte und meine Mutter mir außer bei groben Fehlern nicht dazwischenreden würde.
    »Also gut. Mami suchte früher genauso gern wie Hannah in Schränken und Schubladen nach Antworten. Als sie ungefähr vierzehn war, fiel ihr bei einem ihrer Streifzüge ein Brief in die Hand. Er war an ihren Vater adressiert, und als sie ihn öffnete, fiel ein Foto heraus. Auf dem Foto war ein Mädchen mit roten Locken, das etwa genauso alt war wie sie. Und der Brief, der dabei lag, begann mit ›Lieber Papa‹. Im ersten

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