Ein Fall für Kay Scarpetta
durch irgend etwas anders fühle als die anderen, dann ist es mein Verlangen danach, diese Dinge zu erleben, mein Verlangen danach, das große Spektrum menschlicher Gefühle, das ich gerade erwähnte, zu analysieren und zu verstehen."
Marino: "Können Sie die Gefühle des Menschen verstehen, der Ihrer Frau das angetan hat?"
Stille.
Fast unhörbar: "Großer Gott, nein."
Marino: "Sind Sie sicher?"
"Nein. Ich meine, ja, ich bin sicher! Ich will es nicht verstehen!"
Marino: "Ich weiß, es ist schwer für Sie, darüber nachzudenken, Matt. Aber Sie könnten uns eine große Hilfe sein, wenn Sie irgendwelche Ideen hätten. Zum Beispiel, wenn Sie die Rolle von einem Killer wie diesem schreiben würden, wie wäre er -"
"Ich weiß es nicht! Der elende Schweinehund!" Seine Stimme wurde brüchig, explodierte vor Zorn. "Ich weiß nicht, warum Sie mich das fragen! Sie sind die verdammten Bullen! Sie sollten sich diese Dinge vorstellen können!"
Er wurde plötzlich still, als ob man die Nadel von einer Schallplatte nimmt. Das Band lief eine ganze Weile, ohne daß man irgend etwas hörte, außer Marinos Räuspern und ei nen Stuhl, der gerückt wurde. Dann fragte Marino Becker: "Sie haben wohl nicht zufällig noch eine Kassette in ihrem Auto?"
Es war Petersen, der murmelte, und ich glaube, er weinte: "Ich habe noch ein paar davon drüben im Schlafzimmer."
"Nun ja", Marinos Stimme war kalt und schleppend, "das ist aber wirklich sehr nett von Ihnen, Matt."
Zwanzig Minuten erzählte Petersen davon, wie er die Leiche seiner Frau gefunden hatte. Es war schrecklich, es nur zu hören. Es gab keine Ablenkung. Ich trieb auf den Sätzen seiner Beschreibungen und Erinnerungen. Seine Worte entführten mich in dunkle Bereiche, in die ich nicht eindringen wollte. Das Band lief weiter.
"... Äh, ich bin mir dessen sicher. Ich rief vorher nicht an. Ich tat das nie, ich ging einfach. Ich ging nie aus oder so. Wie ich sagte, äh, ich verließ Charlottesville sofort, nachdem die Probe beendet war und die Requisiten weggeräumt und die Kostüme abgelegt waren. Ich schätze, das war so gegen zwölf Uhr dreißig. Ich hatte es sehr eilig, heimzukommen. Ich hatte Lori die ganze Woche nicht gesehen. Es war beinahe zwei Uhr, als ich vor dem Haus parkte, und als erstes stellte ich fest, daß kein Licht brannte und schloß daraus, daß sie wohl schon zu Bett gegangen war. Ihre Arbeit war sehr anstrengend. Zwölf Stunden Dienst, dann vierundzwanzig Stunden frei, der Schichtdienst lief der menschlichen biologischen Uhr völlig zuwider und wechselte ständig. Sie arbeitete am Freitag bis Mitternacht, sollte am Samstag freihaben, äh, heute. Und morgen würde sie Dienst haben von Mitternacht bis Montag mittag. Frei am Dienstag, und am Mittwoch wieder von Mittag bis Mitternacht. So ging es.
Ich schloß die Tür auf und schaltete das Wohnzimmerlicht an. Alles sah aus wie immer. Rückblickend kann ich das sagen, obwohl ich keinen Grund hatte, nach irgend etwas Ungewöhnlichem zu suchen. Ich erinnere mich, daß das Licht im Korridor aus war. Ich bemerkte es, weil sie es normalerweise für mich anließ. Es war meine Gewohnheit, direkt ins Schlafzimmer zu gehen. Wenn sie nicht zu erschöpft war, und sie war es praktisch nie, setzten wir uns zusammen ins Bett und tranken Wein und redeten, äh, und schliefen dann erst sehr spät ein.
Ich war irritiert. Irgend etwas irritierte mich. Das Schlafzimmer. Ich konnte zuerst nicht viel sehen, weil die Lichter ... die Lichter, natürlich, aus waren. Aber irgend etwas stimmte nicht, von Anfang an. Es ist fast so, als ob ich es gefühlt hätte, bevor ich es sah. Wie ein Tier Dinge fühlt. Und ich dachte, ich hätte etwas gerochen, aber ich war mir nicht sicher, und dies trug zu meiner Irritation bei."
Marino: "Was für eine Art Geruch?"
Stille.
"Ich versuche, mich zu erinnern. Ich nahm es nur ganz schwach wahr. Aber genug, um mich zu wundern. Es war ein unangenehmer Geruch. Irgendwie süßlich, aber faulig. Seltsam."
Marino: "Sie meinen eine Art Körpergeruch?"
"Ähnlich, aber nicht genau. Es war süßlich. Unangenehm. Mehr stechend und schweißig."
Becker: "Etwas, was Sie schon einmal gerochen haben?"
Eine Pause.
"Nein, es war mit nichts vergleichbar, was ich je gerochen hatte, ich glaube nicht. Es war schwach, aber vielleicht nahm ich es stärker wahr, weil ich nichts sah, weil ich nichts hörte, als ich in das Schlafzimmer kam. Es war so still da drinnen. Das erste, was meine Sinne erreichte, war dieser
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