Ein Fall für Kay Scarpetta
wird klar und seine Hände fangen an herumzugestikulieren, als ob er auf der Bühne wäre oder so. Es war absolut unglaublich. Seine Augen werden hin und wieder feucht, seine Stimme krächzt, er wird rot und wieder blaß. Ich denke mir, das ist kein Interview, das ist eine verdammte Theatervorstellung."
Er lehnte sich zurück und lockerte seine Krawatte. "Ich überlege, wo ich das schon einmal gesehen habe, wissen Sie? Vor allem damals in New York, bei solchen Typen wie Johnny Andretti mit seinen seidenen Anzügen und importierten Zigaretten und dem Charme, der ihm aus den Ohren quoll. Er ist so glatt, daß du anfängst, dir die größte Mühe zu geben, es ihm recht zu machen, und ein kleines Detail beiseite schiebst, daß er nämlich mehr als zwanzig Menschen in seiner Laufbahn auf dem Gewissen hatte. Dann ist da Phil The Pimp. Er schlägt seine Mädchen mit Kleiderbügeln, zwei davon tot, und taucht dann in seinem Restaurant auf, das nur die Kulisse für seine Begleiter darstellt. Phil ist total wütend über den Tod seiner Nutten, lehnt sich über den Tisch, um mir zu sagen: >Bitte, finden Sie den, der das getan hat, Pete. Er muß ein Monster sein. Hier, versuchen Sie mal diesen Chianti, Pete. Ist wirklich gut.< Der Punkt ist der, Doc, ich bin wirklich viel rumgekommen. Und Petersen löst in mir dasselbe Warnsignal aus, das Typen wie Andretti und Phil in mir ausgelöst haben. Er gibt mir diese Vorstellung, ich sitze da und frage mich: >Was denkt dieser Harvard-Primus eigentlich? Daß ich bescheuert bin oder was?<" Ich schob eine Kassette in meinen Kassettenrecorder, ohne etwas zu sagen.
Marino nickte mir zu, daß ich den Play-Knopf drücken solle.
"Erster Akt", verkündete er scherzend. "Das Bühnenbild zeigt Petersens Küche. Der Hauptdarsteller: Matt. Die Rolle: tragisch. Er ist blaß und wund um die Augen, okay? Er starrt an die Wand. Was mich betrifft, in meinem Kopf spielt sich ein Film ab. Ich war nie in Boston und würde Harvard nicht von einem Loch im Boden unterscheiden können, aber ich sehe alte Ziegeln und Efeu."
Er wurde still, als das Band abrupt mitten in Petersens Satz anfing. Er redete über Harvard, beantwortete Fragen darüber, wie er und Lori sich kennengelernt hatten. Ich war in den vergangenen Jahren bei einigen Polizeibefragungen dabeigewesen, aber diese hier verblüffte mich. Was spielte es für eine Rolle? Was hatten Petersens Bemühungen um Lori in deren Collegezeit mit ihrem Mord zu tun? Ich denke, ein Teil von mir wußte es. Marino versuchte Petersen aus sich herauszulocken. Marino suchte nach irgend etwas - irgend etwas -, was ein Hinweis darauf sein könnte, daß Petersen besessen und abartig und möglicherweise sogar eindeutig ein Psychopath war.
Ich stand auf, um die Tür zu schließen, damit wir nicht gestört werden konnten, während die Stimme auf dem Tonband ruhig weiterredete.
"... Ich hatte sie schon vorher gesehen. Auf dem Universitätsgelände, die Blonde, die mit einem Stapel von Bü c hern herumlief, gedankenverloren, als ob sie in Eile wäre und an viele Dinge dachte."
Marino: "Was war es, was Sie auf sie aufmerksam gemacht hat, Matt?"
"Das ist schwer zu sagen. Aber sie verzauberte mich sogar von weitem. Ich weiß nicht genau, warum. Aber zum Teil sicher deshalb, weil sie immer allein war, immer in Eile, auf dem Weg irgendwohin. Sie war, ah, vertrauenerweckend und schien entschlossen zu sein. Sie machte mich neugierig."
Marino: "Passiert das sehr oft? Ich meine, daß Sie eine attraktive Frau sehen und diese Sie neugierig macht aus der Entfernung?"
"Äh, ich glaube nicht. Ich meine, ich bemerke Menschen wie jeder andere auch. Aber bei ihr, bei Lori, war es anders."
Marino: "Fahren Sie fort. Sie trafen sie also schließlich. Wo?"
"Es war auf einer Party. Im Frühling, Anfang Mai. Die Party fand in einem Appartement außerhalb des Collegegeländes statt, das einem Freund von meinem Zimmergenossen gehörte, einem Typ, der, wie sich herausstellte, mit Lori im Labor zusammenarbeitete, weshalb sie auch zu der Party kam. Sie kam ungefähr gegen neun Uhr herein, gerade als ich eigentlich wieder gehen wollte. Ihr Kollege, Tim, glaube ich, hieß er, öffnete ein Bier für sie, und sie fingen an, sich zu unterhalten. Ich hatte ihre Stimme vorher noch nie gehört. Ziemlich tief, weich, angenehm anzuhören. Die Art von Stimme, nach der du dich umdrehst, um festzustellen, woher sie kommt. Sie erzählte Anekdoten über irgendeinen Professor, und die Leute um sie herum
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