Ein Fall für Kay Scarpetta
einen Job, der wahrscheinlich in einer unteren Kategorie lag - ein Mechaniker, Reparateur, Arbeiter oder irgendein anderer, handwerklicher Beruf...
Ich bemerkte, daß sich Marinos Gesicht plötzlich rötete. Er sah ruhelos im Konferenzraum umher.
"Für ihn", sagte Wesley, "ist das beste die Vorbereitungsphase, wenn der Plan in seiner Phantasie Formen annimmt und die Umwelt ihm irgendein Signal gibt, das seine Phantasie anregt. Wo wurde er auf seine Opfer aufmerksam?"
Wir wußten es nicht. Die Opfer wüßten es wahrscheinlich selbst nicht, wären sie noch am Leben. Vielleicht war die Begegnung so flüchtig wie ein Schatten. Er erblickte sie irgendwo. Vielleicht in einem Einkaufszentrum oder vielleicht in ihren Autos an einer Ampel.
"Was war der Auslöser?" fuhr Wesley fort. "Warum ausgerechnet diese Frau?"
Wir wußten es wieder nicht. Wir wußten nur eines: Jede der Frauen war angreifbar, weil sie allein lebte. Oder zumindest nahm er an, daß sie allein lebte, wie in Lori Petersens Fall.
"Klingt wie der Durchschnittsamerikaner." Marinos Bemerkung unterbrach unsere Überlegungen abrupt. Er schnippte die Asche von seiner Zigarette und lehnte sich aggressiv nach vorn. "Hey! Das klingt ja alles ganz schön und nett. Aber wir befinden uns hier nicht im Wunderland von Oz. Ich bin nicht Dorothy, und ich bin nicht auf der gelben Ziegelsteinstraße, okay? Wir sagten, er sei ein Klempner oder so was, richtig? Na schön, Ted Bundy war Jurastudent, und vor ein paar Jahren gab es diesen Sexualverbrecher in Washington, bei dem sich rausstellte, daß er ein Zahnarzt war. Hölle, der Würger da draußen im Land der Obst- und Nußbäume könnte doch irgendein Pfadfinder sein , was wissen wir denn schon."
Marino kam jetzt heraus mit dem, was ihm durch den Kopf ging. Ich hatte schon daraufgewartet, daß er loslegte. "Ich meine, wer sagt uns, daß er kein Student ist? Vielleicht sogar ein Schauspieler oder irgendein kreativer Typ, dessen Phantasie mit ihm durchgegangen ist. Ein Lustmord unterscheidet sich nicht großartig von einem anderen, egal, wer ihn begangen hat, es sei denn, der Kerl trinkt Blut oder grillt Leute am Spieß - und dieser Kerl, mit dem wir es hier zu tun haben, ist kein Lucas. Der Grund, warum Sexualmorde alle mehr oder weniger dasselbe Strickmuster haben, ist, wenn Sie meine Meinung hören wollen, daß die Menschen, mit ein paar Ausnahmen, alle gleich sind. Arzt, Rechtsanwalt oder Indianerhäuptling. Das Denken und Handeln der Leute hat sich doch nicht großartig verändert seit der Zeit, als die Höhlenmenschen die Frauen an den Haaren hinter sich herzogen."
Wesley blickte auf. Er sah langsam zu Marino hinüber und fragte ruhig: "Worauf willst du hinaus, Pete?"
"Ich werde dir sagen, worauf ich, verdammt noch mal, hinauswill!" Sein Kinn war vorgeschoben, seine Halsvenen pulsierten. "Dieser verdammte Mist, wer in das Bild paßt und wer nicht. Das läßt mich kalt. Was ich hier habe, ist ein Typ, der seine beschissene Dissertation über Sex und Gewalt, Kannibalen und Schwule schreibt. Er hat Glitzerkram an seinen Händen, der aussieht wie das Zeug, das auf den Leichen gefunden wurde. Seine Abdrücke sind auf der Haut seiner toten Frau und auf dem Messer, das in einer der Schubladen versteckt war - ein Messer, das auch Glitzerkram auf dem Griff hat. Er kommt jedes Wochenende genau um die Zeit nach Hause, in der die Frauen ermordet werden. Aber nein. Hölle, nein! Er kann nicht der Richtige sein, nicht wahr? Und warum? Weil er kein einfacher Arbeiter ist. Weil er nicht mies genug ist."
Wesley blickte wieder auf. Meine Augen fielen auf die Fotos, die vor uns ausgebreitet lagen, Nahaufnahmen von Frauen, die nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen geglaubt hätten, daß ihnen so etwas geschehen könnte.
"Schön, laßt mich nur noch etwas ausführen." Die Tirade war immer noch nicht zu Ende. "Unser hübscher Matt hier - wie der Zufall so will, ist er nicht ganz so rein wie der Schnee. Während ich oben war, um im Serologielabor nachzusehen, habe ich noch mal bei Vander im Büro angerufen, um zu hören, ob er etwas Neues für mich hat. Petersens Abdrücke sind in der Kartei, nicht wahr? Wißt ihr, warum?" Er blickte mich starr an. "Ich werde euch sagen, warum. Vander hat ein paar Nachforschungen angestellt, hat seine Verbindungen spielen lassen. Unser hübscher Matt ist vor sechs Jahren in New Orleans festgenommen worden. Das war in dem Sommer, bevor er ins College ging, lange bevor er seine Chirurgendame
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