Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Fall für Kay Scarpetta

Ein Fall für Kay Scarpetta

Titel: Ein Fall für Kay Scarpetta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
vierundsiebzig Prozent, und sie fiel noch weiter. Es gab mehr Morde an Unbekannten als Verbrechen aus Leidenschaft und so weiter. Ich hörte kaum zu.
    "... Matt Petersen macht mir Sorgen, wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, Kay." Er wartete einen Moment.
    Er hatte meine Aufmerksamkeit zurückgewonnen.
    "Er ist Künstler. Psychopathen sind die Rembrandts der Mörder. Er ist Schauspieler. Wir wissen nicht, was für Rollen er in seinen Phantasien gespielt hat. Wir wissen nicht, ob er sie jetzt in die Tat umsetzt. Wir wissen nicht, ob er nicht teuflisch gerissen ist. Der Mord an seiner Frau könnte aus reinem Nutzen geschehen sein."
    "Aus reinem Nutzen?" Ich starrte ihn mit weiten ungläubigen Augen an, starrte auf die Fotos, die von Lori Petersen am Tatort gemacht worden waren.
    Ich sah alles, was das Monster ihr angetan hatte. Aus reinem Nutzen? Ich wollte meinen Ohren nicht trauen.
    Wesley erklärte: "Nutzen in dem Sinn, daß er sie irgendwie loswerden mußte, Kay. Wenn zum Beispiel irgend etwas passiert ist, was in ihr den Verdacht geweckt hat, daß er die ersten drei Frauen ermordet hat, könnte er in Panik geraten sein und beschlossen haben, sie umzubringen. Wie kann er das tun, ohne daß es rauskommt? Er kann ihren Tod so aussehen lassen wie bei den anderen."
    "So etwas habe ich doch schon einmal gehört", sagte ich ruhig. "Von Ihrem Partner."
    Seine Worte kamen langsam und gleichmäßig wie die Schläge eines Metronoms: "Das sind alles Möglichkeiten, Kay. Wir müssen sie in Betracht ziehen."
    "Natürlich tun wir das. Und das ist auch in Ordnung, solange Marino alle Möglichkeiten in Betracht zieht und nicht Scheuklappen trägt, weil er besessen ist von der Idee oder weil er ein Problem hat."
    Wesley sah zur offenen Tür. Fast unhörbar sagte er: "Pete hat seine Vorurteile. Das leugne ich nicht."
    "Und welche genau sind das?"
    "Es muß Ihnen reichen, wenn ich Ihnen sage, daß wir unsere Nachforschungen über seine Vergangenheit gemacht haben, als das Büro entschied, daß er ein guter Mann für ein VICAP-Team wäre. Ich weiß, wo er aufgewachsen ist. Über manche Erinnerungen kommt man nie hinweg. Sie stehen einem im Weg. Solche Dinge geschehen."
    Er erzählte mir nichts, was ich mir nicht schon gedacht hätte. Marino war arm aufgewachsen, auf der falschen Seite der Straße. Er fühlte sich unwohl in der Gegenwart von Menschen, die ihn immer schon verlegen gemacht hatten. Die Cheerleader und Schönheitsköniginnen beachteten ihn nie, weil er nicht angepaßt war, weil sein Vater Dreck unter den Nägeln hatte, weil er "gewöhnlich" war.
    Ich hatte diese rührenden Polizistenschicksale schon tausendmal gehört. Der einzige Vorteil des Mannes ist, daß er groß und weiß ist, also macht er sich noch größer und noch weißer, indem er sich eine Plakette ansteckt und eine Pistole trägt.
    "Wir brauchen uns nicht vor uns selbst zu entschuldigen, Benton", sagte ich kurz. "Wir entschuldigen Verbrecher auch nicht, weil sie eine verkorkste Kindheit hatten. Wir können die Macht, die man uns anvertraut hat, nicht dazu verwenden, Leute zu bestrafen, die uns an unsere ve rkorkste Kindheit erinnern."
    Ich hatte durchaus Mitgefühl. Ich verstand genau, was Marino durchgemacht hatte. Ich kannte diese Wut. Ich hatte sie oft genug gespürt, wenn ich im Gericht einem Verteidiger gegenüberstand. Egal, wie überzeugend die Beweise waren, wenn der Typ nett aussah, sauber, gepflegt und mit einem Zweihundert-Dollar-Anzug bekleidet, dann konnten die zwölf Geschworenen, arbeitende Männer und Frauen, einfach nicht glauben, daß er schuldig war. Ich traute mittlerweile jedem so ziemlich alles zu. Aber nur dann, wenn die Tatsachen dafür sprachen. Beachtete Marino die Tatsachen? Beachtete er überhaupt irgend etwas?
    Wesley schob seinen Stuhl zurück und stand auf, um sich zu strecken. "Pete hat seine Eigenarten. Man gewöhnt sich daran. Ich kenne ihn seit Jahren."
    Er trat an die offene Tür und schaute den Korridor entlang. "Wo, zum Teufel, bleibt er überhaupt? Ist er in die Kloschüssel gefallen?"
    Wesley beendete seine Arbeit in meinem Büro und verschwand in den sonnigen Nachmittag der Lebenden, wo andere verbrecherische Aktivitäten seine Aufmerksamkeit und seine Zeit benötigten. Wir hatten Marino schließlich aufgegeben. Ich hatte keine Ahnung, wo er hingegangen war, aber sein Gang zur Männertoilette hatte ihn anscheinend aus dem Gebäude hinausgeführt. Ich hatte auch keine Chance, lange darüber nachzudenken, weil Rose

Weitere Kostenlose Bücher