Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
deutlich anzumerken.
»Mit Kasper wirst du keinen Spaß haben«, unterbrach ich sie wenig charmant. »Ich habe ihn selber kaum reiten können, und ich will dir nicht zu nahe treten, aber dieses Pferd wirst DU niemals reiten können!« Rumms! Ich hatte mein Kriegsbeil ausgegraben und übertünchte so zugleich meine unendliche Traurigkeit. Ich hätte heulen können. Ich war rettungslos in diesen Mann verliebt, und der hatte nichts Besseres zu tun, als mein Pferd seiner Freundin zu schenken. Wenn ich mir Tina so anschaute, dann fragte ich mich, warum ich nicht gleich wieder aufstand und einfach ging?
Als wir spät am Abend zurückfuhren, heulte ich wie ein Schlosshund. Diese Frau schien alles erreicht zu haben in ihrem Leben, was man nur erreichen konnte. Sie erschien mir so unglaublich stark, so unglaublich zufrieden und über den Dingen stehend, und ich dachte, dass man mit einem solchen charismatischen Mann auch nur so werden konnte. Ich hatte Liebeskummer, der schlimmer nicht hätte sein können.
Zu allem Unglück wurde ich auch noch arbeitslos. Ich kaufte eine alte Ente, baute mit meinem Vermieter die hintere Sitzbank raus und düste mit Don, meinem Schäferhund, durch die Gegend. Das Auto war wenigstens billig im Unterhalt und verbrauchte kaum Sprit. Althoff hatte mir angeboten, nach Aachen zu kommen, wenn Kasper sein neues Leben im Zirkus beginnen würde. Die Zeit hatte ich ja nun. Ich erlebte, wie professionell und einfühlsam Franz mit den Hengsten umging. Wenn Franz den Stall betrat, hoben alle Hengste den Kopf. Er war der Chef im Ring, er hatte das Sagen, er strahlte eine ungeheure Autorität aus. Mir ging es wie den Pferden. Ich liebte und bewunderte Franz, weil er allen Menschen und Tieren um sich herum ein unglaubliches Gefühl der Sicherheit vermittelte. Mit Franz Althoff war man nicht verloren. Ich fühlte mich vom Zirkus magisch angezogen und verstand mich selbst nicht mehr. Es war der Geruch der Pferde und des Popcorns, die Musik, die Geräusche der flatternden Zeltbahnen, die stetig wiederkehrende Ordnung der täglichen Abläufe, die Disziplin der Artisten, das geruhsame Kauen der Pferde nach der Vorstellung, einfach ALLES.
Jedes Mal wenn ich wieder in meiner Wohnung saß, zog es mich zurück zum Zirkus. Nach einigen Besuchen wusste ich bereits anhand der Uhrzeit, wer wo an seinem Platz stand und welche Nummer gerade dem Publikum dargeboten wurde. Gleichzeitig überkam mich das Gefühl der Heimatlosigkeit. Ich kann mich an einen Morgen am Kölner Rheinufer erinnern, da wachte ich im Wohnwagen auf und konnte nicht mehr schlafen. Als ich im tristen Grau an der Uferpromenade entlangging, schaute ich auf das Zirkuszelt und die Wohnwagen.
Ohne Licht, ohne die Show, ohne das Spektakel und zudem noch bei diesigem Wetter verliert auch der schönste Zirkus seinen Glanz. In diesem Moment sieht man das wahre Wesen eines Zirkusunternehmens: Arbeit! Nichts als pure Arbeit, die allen Arbeitern, Artisten und Tieren eine unglaubliche Disziplin abverlangt. Ich stand im Nieselregen und begriff, dass ich einfach nicht zu dieser Welt gehörte. Und ich stand da und fragte mich, wo ich überhaupt hingehörte? Ein Zirkus hat sicherlich Ähnlichkeit mit einer riesigen Großfamilie. Vielleicht war es das, was mich anzog? Aber war das tatsächlich mein Leben? War hier ein Platz für mich?
Ich trudelte durch die Wochen. Die immer wiederkehrende Gastfreundschaft von Franz und Tina verwunderte mich. Insbesondere bei Tina. Sie wusste haargenau, wie der Hase lief, und sie setzte mich immer wieder schachmatt, weil sie immer wieder freundlich und herzlich zu mir war. Dadurch wirkte sie noch souveräner, und ich schämte mich abgrundtief, dass ich den Mann an ihrer Seite begehrte.
Als Weihnachten vor der Tür stand, hielt ich es nicht mehr in Hannover aus. Ich rief Franz an und heulte ihm die Jacke voll. Ich merkte, dass er es langsam leid war, dass ich wie eine Schmeißfliege an seiner Backe klebte. »Wir sind in Rotterdam. Wenn du angekommen bist, dann ruf mich wieder an.« Ich setzte mich Heiligabend in den Zug und fuhr nach Rotterdam. Im Zirkus war die Hölle los. Die Holländer waren richtig zirkusverrückt und strömten in Scharen in die Vorstellungen. Der Trubel war Rettung in letzter Sekunde für mich. Hier war Leben, hier herrschte Umtriebigkeit und emsiges Arbeiten, hier war ich nicht alleine. Am nächsten Tag besuchten wir mit einigen Leuten den Schweizer Nationalzirkus Knie, der in Amsterdam gastierte, und Franz
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