Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
stellte mir Fredy Knie Junior vor. Von ihm erhielt ich eine Visitenkarte, die ich bis heute ehrfurchtsvoll aufbewahre.
Und natürlich tauchte ich auch wieder im Winterquartier in Aachen auf. Eines Morgens nahm Althoff mich mit in ein Frühstückscafè. Wir sprachen über mich, mein Leben und meine Perspektiven.
Althoff lehnte sich auf einmal zurück. »Ich will dir mal etwas sagen, und sei froh, dass ich es dir sage, denn ich meine es wirklich nur gut mit dir: Du bist nicht du selbst. Du bist einfach nicht du selbst. Ein Beispiel: deine aufgesetzte Mimik! Ständig hast du eine aufgesetzte Mimik! Du brauchst nicht ständig zu lächeln oder affektiert herumzugestikulieren. Das hast du alles gar nicht nötig. Sei einfach DU SELBST.«
Meine Tränenschleusen öffneten sich mal wieder unaufhaltsam. Ich hatte das Bild meiner Mutter vor Augen, deren aufgesetzte und exaltierte Mimik auf unzähligen Fotos zu erkennen ist. Ich erkannte, dass Althoff Recht hatte mit seiner schonungslosen Kritik, und ich war unfähig, ihm das Wieso und Warum zu erklären. Ich war nicht ich selbst. Ich war es selten gewesen. Und ein Mann wie Franz Althoff war viel zu erfahren, um auf eine aufgesetzte Mimik hereinzufallen.
Seine Worte taten ihm bestimmt nicht leid, aber meine Reaktion, meine tiefe Verletztheit rührten ihn. »Ich geb dir jetzt mal etwas mit auf den Weg. Hör zu! Egal, was war, und egal, was ist: ES GEHT IMMER WEITER IM LEBEN. Merke dir das gut.« Er nahm mich freundschaftlich in den Arm und drückte mich.
Ich wusste, dass ich zu gehen hatte. Ich wusste, dass ich mein Leben leben musste, und ich hatte eine wichtige Lektion begriffen: Es geht immer weiter im Leben.
Nur wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Hannover bekam ich einen neuen Job angeboten, und aus der Zeit des Trudelns wurde eine relativ geordnete Zeit. Ich fühlte wieder Halt unter meinen Füßen und begann auf einmal, die Landschaft der Lüneburger Heide in vollen Zügen zu genießen. Hier und da lernte ich gelegentlich einen Mann kennen, aber so richtig reizte mich nach meiner platonischen Liebe zu Franz Althoff eigentlich keiner.
Gerd Kapitzke machte sich als väterlicher Freund Sorgen um mich und mein Dasein als Frau. In unzähligen Gesprächen diskutierten wir auf seinem kleinen Balkon über Gott und die Welt. Ich mochte es, Gerd zuzuhören. Er erzählte viel von seinem Leben und machte auch um das Thema Sexualität keinen Bogen. Begeistert sprach er über diese Thematik, was auf mich als Frau aber keineswegs plump oder anmachend wirkte. Ganz im Gegenteil. Ich redete gern mit Gerd über dieses Thema und verkaufte mich dabei so souverän es ging. Aber auch Gerd zählt nicht zu den Männern, die sich lange über die Wahrheit hinwegtäuschen lassen.
Als Gerd mich eines Abends fragte, ob ich in meinem Leben überhaupt schon mal einen Orgasmus hatte, kippte ich vor Schreck fast vom Stuhl.
»Entschuldige bitte, Christine. Das ist eine sehr intime Frage. Aber ich komme nicht umhin, dir sagen zu müssen, dass mir da einige Ungereimtheiten aufgefallen sind. Du musst auf die Frage nicht antworten.«
Gerd sah mich nachdenklich an und setzte sein Glas Wein ab. In mir kreisten die Gedanken. Schon seit Wochen beschäftigte mich diese Frage. Es existierte zwar kein Mann an meiner Seite, aber vielleicht beschäftigte mich die Frage nach meiner eigenen, bislang verborgen gebliebenen sexuellen Existenz gerade deswegen. Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich ein Resümee zog: Beruflich stand ich wieder auf sicheren Beinen und organisierte die Turniere in einem großen Golfclub. Die Bezahlung stimmte, und die Tatsache, dass ich während der Saison kein einziges Wochenende frei hatte, störte mich nicht im Geringsten. Alle diese Überstunden konnte ich in den Wintermonaten abfeiern, und ich brauchte mich nur um den alltäglichen Bürokram und die Buchhaltung zu kümmern. Mit Hund und Pferd war ich vollkommen ausgelastet, und zwischenzeitlich kehrte eine innere Ruhe bei mir ein. Das Einzige, das ganz und gar nicht stimmte, war mein nicht vorhandenes Verhältnis zu einer eigenen Sexualität. Gerd hatte das völlig richtig erkannt.
»Gerd«, begann ich zögerlich, »du bist mir ein guter Freund. Du bist auch der einzige Mann, mit dem ich reden kann, ohne Angst haben zu müssen, dass sich unsere Freundschaft ändert, wenn ich jetzt einfach mal ehrlich bin.« Ich kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. Tränen der Erleichterung. »Du hast vollkommen Recht. Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher