Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
wirklich alles würde ich für dich tun, und wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich den ganzen Tag mit dir zusammen sein. Die Mami erinnert sich immer an deinen Vater, wenn sie dich sieht, und das ist unfair. Weißt du, was ICH in dir sehe?«
Tränen liefen mir über die Wangen. Ich wusste gar nicht so genau, warum ich jetzt heulte, aber eine unendliche Traurigkeit überfiel mich. »Ich fühle mich so alleine, Jürgen. Mama meckert ständig an mir herum, und dauernd erzählt sie mir, dass ich genauso ein Arschloch sei wie mein Vater. Ich mach doch schon alles, was sie will, aber nie sagt sie etwas Liebes zu mir.« Ich heulte wie ein Schlosshund, und Jürgen drückte mich fest an sich.
»Meine arme, wundervolle Christine! Du bist so ein hübsches Mädchen! Nun wein doch nicht.«
»Bin ich gar nicht!«, schrie ich Jürgen an. »Mama sagt, ich würde gehen wie ein Elefant, ich hätte Wurstfinger, ein Gesicht zum Reinschlagen, und wenn sie gewusst hätte, was aus mir geworden ist, hätte sie mich gleich nach der Geburt wieder reingeschoben! DAS sagt Mama!«
Jürgen streichelte mir das Haar. »Ich weiß, mein Mädchen. Ich weiß. Ich kann auch nur immer wieder mit ihr sprechen und versuchen, sie zur Vernunft zu bringen. Du weißt ja, wie sie ist. Ich kann dir aber eines ganz sicher garantieren: Ich werde immer, hörst du, immer für dich da sein! Du kannst jederzeit zu mir kommen! Wir sind doch jetzt ein Team! Und jetzt hör auf zu weinen. Sonst merkt die Mami noch was, und das wollen wir doch nicht, oder? Ich lass dich gleich oben an der Ecke raus und dreh dann noch mal ʼne Runde, ja? Bitte Christine! Reiß dich zusammen, sonst fliegen wir auf!«
Ich schluckte und wischte mir mit Jürgens Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht. Ich musste mich konzentrieren und das passende Gesicht aufsetzen. Wenn meine Mutter erfahren würde, dass ich mich mit Jürgen getroffen hatte, dann wäre die Hölle los!
Es war Frühling geworden. Ich hatte in der Zwischenzeit eine feste Zahnspange bekommen und fand mich damit einfach schrecklich! Meine Mutter witzelte darüber und verglich mich mit dem Beißer aus Moonraker , was meine Stimmung nicht gerade hob.
Meine Freundinnen kannten derzeit nur ein einziges Thema: Das erste Mal! Ständig unterhielten sie sich darüber, und die eine fand es superschön, die andere nur ätzend, weil es ihr richtig wehgetan hatte. Alle waren sie ganz erpicht darauf gewesen und wollten das unbekannte Terrain betreten. Und alle hatten sie einen richtigen Freund. Ich stand wie blöd daneben und gab vor, von alledem noch gar keine Ahnung zu haben. Was hätte ich auch sagen sollen? »Hey Mädels, übrigens, ich schlafe mit dem Freund meiner Mutter? Tja, und leider kann ich zu ›meinem ersten Mal‹ nur sagen, dass es zwar nicht wehtat, ich das aber alles nicht richtig mitbekommen habe und gar nicht wollte.«
Zu den speziellen intimen Themen konnte ich ohnehin nichts sagen, denn mir waren Kusstechniken, Streicheltechniken, Selbstbefriedigung und das gesamte Petting-Repertoire ein völlig unbekanntes Territorium. Es war an den Wochenenden mittlerweile Usus geworden, dass Jürgen irgendwann in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Leopardenzimmer auftauchte und sich wie selbstverständlich auf mich legte, seine Zunge ständig in mir kreisen ließ, damit von mir kein Laut zu hören war, und mich dann so lange penetrierte, bis er zum Höhepunkt kam. Jürgen stellte keine Fragen, sondern erzählte mir danach in völliger Verklärtheit, wie toll und schön das doch alles mit uns beiden sei. Dass Ulf und Martin mit im Haus waren, schien ihn absolut nicht zu stören, aber warum auch? Wenn ihn schon nicht störte, dass meine Mutter direkt über uns im Bett lag und schlief, dann konnten seine Söhne erst recht kein Hindernis für ihn sein. Ich versuchte einige Male, mit Jürgen darüber zu reden, wie ich mich fühlte, doch stets wickelte er mich in seinen euphorischen Schwärmereien ein, sodass ich entweder nicht zu Wort kam oder vergessen hatte, was ich ihm eigentlich hatte erklären wollen. Ich war vierzehn und konnte vieles von dem, was ich fühlte, nur sehr sehr schwer in Worte fassen. Ich wünschte mir, dass Jürgen einfach wieder der Kumpel, der Mitstreiter, der gute Freund und der Vaterersatz geworden wäre. Er schlief mit einer derartigen Selbstverständlichkeit mit mir, dass ich mich völlig überfordert und auch völlig überrumpelt fühlte. Ich konnte in diesem Alter noch nicht begreifen, dass
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