Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
so oft über Margret nachdachte (in Gedanken nannte ich sie schon gar nicht mehr M, weil ich sicher war, dass sie Margret sein musste) und darüber, wie sie gestorben war, bei den Bahnschienen, mit abgerissenem Kopf, und über die Geschichten von ihrem Geist, der an den Gleisen entlangwanderte.
In ihren Briefen an J erzählte Margret, wie sehr sie ihn vermisse und dass sie hoffe, dass sie sich bald wiedersehen würden. Sie sprach von den Bäumen vor ihrem Haus, großen Hartriegelbäumen; anscheinend hatte sie irgendwo gehört, dass das Kreuz, an das Jesus genagelt worden war, aus Hartriegelholz gewesen war. Daher hätten die weißen Blüten dieser Bäume kleine rote Tupfer, wie das Blut, das Jesus vergossen habe. Das sei Gottes Botschaft an uns, damit wir nicht vergäßen, dass Jesus an einem Kreuz aus Hartriegel gestorben war.
Diese Sache mit dem Hartriegel war damals eine weitverbreitete Geschichte, aber als ich älter wurde und ein paar Bücher über solche Themen las, fand ich keine ernstzunehmenden Belege dafür. Im Allgemeinen waren sich die Historiker einig, dass die Römer ihre Kreuze damals aus allem Möglichen, aber mit Sicherheit nicht aus Hartriegel gezimmert hatten.
Aber Margret redete ständig über solche Dinge. Sie war eine Träumerin, und ich tauchte gern in ihre Träume ein.
Es gab unzählige Tagebuchseiten, auf denen Margret von der Schwangerschaft sprach und versicherte, dass sie das Kind behalten könnten, es großziehen könnten – »trotz allem«, wie sie sagte.
Als ich der Briefe und Tagebucheinträge schließlich überdrüssig wurde, legte ich sie zurück in das Kästchen und humpelte auf den Krücken quer durchs Zimmer zu meinem Schrank. Ich schob die Kiste auf das oberste Regalbrett hinter meinen Cowboyhut und meinen indianischen Federschmuck, und mir fiel auf, dass irgendetwas die Spitzen der Federn angefressen hatte.
Na ja, ich trug den Federschmuck ohnehin nicht mehr. Aus den Cowboy-und-Indianer-Spielen war ich herausgewachsen. Ich hatte sogar meine Davy-Crocket-Waschbärmütze in meiner Holztruhe verstaut. Die Vorstellung, auf einem unsichtbaren Pferd mit einem Waschbärenfell oder einem Federschmuck auf dem Kopf im Garten herumzugaloppieren, kam mir inzwischen albern vor.
Ich humpelte zurück zum Bett und legte mich hin. Mit Larry kratzte ich mich im Gipsverband, und dann ließ ich das Grübeln über Margret für eine Weile sein.
7
Den nächsten Tag verbrachte ich auf einem Gartenstuhl, den ich mir in den Schatten des Vorführhäuschens gezogen hatte, und las ein Buch von Edgar Rice Burroughs mit dem Titel Tarzan der Schreckliche . Nub lag dabei schnarchend zu meinen Füßen.
Irgendwann hielt ich kurz inne, um mich zu strecken, und stellte fest, dass die Sonne unterging. Ich war überrascht, dass ich den ganzen Tag, abgesehen von einem kurzen Ausflug aufs Klo und einer Mittagessenspause, mit dem Buch auf diesem Stuhl verbracht hatte.
Obwohl es schon so spät war, herrschte immer noch eine brütende Hitze, und als ich mich wieder meinem Buch zuwandte, lief mir der Schweiß übers Gesicht.
»Hol dir lieber einen Hut, Junge. Nur ein Idiot setzt sich so in die pralle Sonne.«
Verblüfft drehte ich mich um. Nub hob den Kopf, sah auf, legte die Schnauze wieder auf die Vorderpfoten und schloss die Augen.
Die Bemerkung hatte Buster Abbot Lighthorse Smith geäußert, der zwei Papiertüten in Händen trug. Die eine spannte sich eng um eine Flasche, sodass Verschluss und Flaschenhals oben herausschauten. Er schloss das Vorführhäuschen auf und schlüpfte hinein.
Die Tür ließ er offen, damit die Hitze entweichen konnte. Drinnen hatte er einen Ventilator; er nahm ihn hoch, stellte ihn auf einen Stuhl und schaltete ihn ein. Das Ding konnte von rechts nach links schwenken, aber er hatte ihn festgeschraubt, sodass er sich nicht bewegte. Buster setzte sich davor auf einen zweiten Stuhl, kramte in der einen Papiertüte, holte einen Flaschenöffner hervor, hebelte den Kronkorken von der Flasche in der anderen Tüte und nahm einen Schluck.
»Scheiße«, sagte er, als er die Flasche absetzte. »Fang bloß nie mit diesem Zeug an, Junge. Hat schon so manchen Nigger niedergestreckt, und einem weißen Jungen wird’s auch nicht guttun. Wenn du dieses Zeug in einen Marmeladenglasdeckel schüttest, fallen die Fliegen rein und verrecken dran. Das sagt eigentlich schon alles. Also, lass die Finger davon.«
»Ja, Sir.«
Er zog die Papiertüte von der Flasche, und zum Vorschein kam eine
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