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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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erzählt. Gut möglich, dass ich bloß ’n Märchen auftische, aber welches Märchen klingt wahrscheinlicher? Denk mal drüber nach. Jetzt, wo du weißt, dass es Mrs Stilwind hätte sein können, wirkt das, was du da oben gesehn hast, gar nicht mehr so gruselig, oder?«
    »Kann sein.«
    »Dann hast du sie also gesehn?«
    »Ich hab einen Schatten gesehen, der aussah wie eine alte Frau.«
    »Vielleicht war es das ja auch nur. Der Schatten von ’ner alten Frau, kein Geist. Manchmal gibt’s klare Antworten im Leben, und manchmal sind nicht mal die Fragen richtig klar. Ist nicht immer so wie im Film, wo alles genau aufgeht. Kennst du Sherlock Holmes?«
    »Ich hab ihn im Fernsehen gesehen.«
    »Lies die Bücher. Mr Sherlock Holmes hat eine goldene Regel, die geht ungefähr so: Wenn man alles nimmt, was in einer Geschichte vielleicht möglich ist, und beweist, dass es nicht stimmen kann, dann ist der Rest, egal wie unmöglich, die Lösung. So heißt es bei ihm. Oder zumindest so ähnlich. Also merk dir, zuerst muss alles weg, was vielleicht möglich ist. Schau immer ganz genau hin. Wenn du dir erst mal ’ne Meinung gebildet hast, dann glaubst du wahrscheinlich auch dann noch dran, wenn’s in Wahrheit ganz anders ist. Kannst du mir folgen?«
    »Ja, Sir.«
    »Ich red ganz schön viel, was?«
    »Schon in Ordnung.«
    Buster hielt inne, als würde er über ein mathematisches Problem nachdenken. Dann nahm er einen Schluck von seiner Cola und wischte sich den Mund ab.
    »Ich will dir was erzählen, Junge, aber behalt’s für dich. Ich hab was getrunken. Eigentlich versuch ich, bei der Arbeit nix zu trinken. Na ja, nur ’n kleines Schlückchen hier und da. Aber heute, an meinem vierundsiebzigsten Geburtstag, gönn ich mir ’n bisschen was. Deswegen bin ich so gesprächig. Hat nix zu bedeuten. Bin normalerweise kein besonders netter Kerl. Aber inzwischen hab ich genug Sprit im Blut, und es ist mein Geburtstag, also bin ich heute ausnahmsweise mal ’n netter Kerl. Verstanden?«
    »Ja, Sir.«
    »Hab mir vorhin« – er zog eine Metallflasche aus seinem Brotbeutel, während er sprach – »bisschen was von dem hier in meine Cola gekippt. Der Pegel bleibt also konstant. Ich weiß auch nicht, warum ich dir das erzähl. Du sagst es aber nicht deinem alten Herrn, oder? Er würde mich feuern. Was er vielleicht auch tun müsste.«
    »Nein, Sir. Ich meine, ich hab’s nicht vor.«
    Buster nickte und fuhr fort: »In ungefähr einer halben Stunde wird’s dunkel. Dann kommen sie scharenweise an, um diesen Cowboyfilm mit John Wayne zu gucken. Ich freu mich auch schon drauf, schau ihn mir jeden Abend an. Im Vorführhäuschen hat man den allerbesten Platz. Hier sitzt du direkt an der Quelle, Sohn. Komm doch mit rein, ich werd dich schon nicht beißen.«
    Buster stand vom Gartenstuhl auf und ging in die Kammer. Eigentlich widerstrebte es mir, zu ihm hineinzugehen, wenn er so angetrunken war. Aber ich wollte ihn auch nicht kränken. Also humpelte ich hinter ihm her, Nub dicht auf den Fersen.
    Buster öffnete den Verschluss einer runden Schachtel, nahm eine Filmrolle heraus, drehte sie zwischen den Händen und ließ sie im Projektor einrasten – lässig wie ein Soldat, der ein Maschinengewehr lädt.
    »Ohne Sprit geht mir das nicht so flüssig von der Hand«, sagte er. »Wenn du hierbleibst, zeig ich dir, wie man die Maschine bedient. Schließlich könnt ich jeden Tag ins Gras beißen. Dann braucht dein Daddy jemand, der sich damit auskennt. Verflucht, ich glaub, er selber hat keinen Schimmer davon. Ich mach einfach nur dasselbe wie vorher, als das Filmtheater noch diesem andern Kerl gehört hat. Weißt du, früher stand ein schickes Haus genau hinter diesem Grundstück, und all das hier war der Vorgarten. Damals gab’s weder das Autokino noch den Highway, nichts.«
    »Ja, Sir, ich weiß.«
    »Ach ja?«
    Ich erzählte ihm von den Trümmern des Hauses, die hinter uns in den Baumwipfeln hingen.
    »Ein schönes Haus war das. Ist abgebrannt, und die kleine Stilwind mit.«
    »Haben Sie die Stilwinds gekannt?«
    »Na ja, wir haben uns nicht gegenseitig zum Geburtstag eingeladen, falls du verstehst, was ich meine. Aber ich kannte sie vom Sehen. Das war schon seltsam, mit dem abgebrannten Haus und dem Mädel drin. Hat einiges an Gerüchten gegeben, aber das meiste war leeres Geschwätz.«
    Im Vorführhäuschen standen ein paar Stühle, und wir setzten uns.
    »Was war denn seltsam daran?«
    »Ich hab’s von Jukes gehört – so heißt er, weil er

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