Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
und versuchte, Buster in ein Gespräch zu verwickeln, aber er ging nicht darauf ein. Als ob eine dunkle Gewitterwolke über ihm aufgezogen wäre. Er hatte keine Lust zu reden, und das sagte er mir auch.
»Heut ist kein Geburtstag, Kleiner, und ich hab nix getrunken. Hab zu tun. Ist nicht böse gemeint, aber ich kann keine Gesellschaft gebrauchen.«
»Tut mir leid.«
»Braucht dir nicht leid tun. Lass mich einfach bloß in Ruh.«
Ich humpelte zurück zum Autokino, ging hinein und setzte mich an den Tisch. Rosy Mae kam zu mir und fragte: »Hat der Alte dich gekränkt?«
»Nein.«
»O doch. Du ziehst ja ’n ganz langes Gesicht. Achte einfach nich auf den ollen Griesgram. Der is einfach nur ’n verkorkster alter Mann. Den ein’ Tag isser fröhlich, den nächsten schlecht gelaunt.«
»Gestern war er ganz nett.«
Rosy Mae setzte sich an den Tisch. »Mister Stanley ... Stanley, so isser halt. Launisch wie ’n altes Maultier, nur noch schlimmer. Hält sich für ’n ganz feinen Nigger. Angeblich soll er bei den Indianern so ’ne Art Bulle gewesen sein. Is wohl selber ’n halber Indianer oder so.«
»Hat er mir auch erzählt.«
»Keine Ahnung, was da an der Geschichte dran is. Vielleicht isser einfach bloß einer von den Rothaut-Niggern aus Louisiana. Manchmal macht der Fusel ihn ganz genießbar, und manchmal wird er giftig wie ’ne Natter, die man aus ’m Mittagsschläfchen aufgescheucht hat.«
»Heute hat er nichts getrunken.«
»Vielleicht isser ja an solchen Tagen der echte Buster. Könnt auch sein, dass er deswegen so garstig wird, weil er unbedingt ’n Drink braucht. So sind die Säufer, und alle werden dir sagen, dass sie nich selber schuld dran sind. Kennst doch den Spruch: ›Trau keinem, der nich trinkt‹. Das ist der größte Blödsinn, was ich je gehört hab. Am besten traust du keinem Trinker, weil trinken tun nur die Versager. Obwohl, wenn das stimmt, müsst ich mich einglich selber volllaufen lassen.«
»Danke, Rosy. Jetzt geht’s mir besser.«
»Na also. Übrigens, deine Eltern sind mit Callie in die Stadt gefahrn zum ihr ’n paar Anziehsachen für die Schule besorgen. Sie haben gesagt, mit dir wollen sie morgen einkaufen gehn. Wenn du mich nich verrätst, tu ich ’n bisschen in meinen Zeitschriften lesen.«
»Du weißt genau, dass ich das nie machen würde.«
»Alles klar. Ich les ja immer wieder dieselben Hefte, weil ich nirgendwo hinkomm, wo ich mir neue holen kann. Aber ich bin mal wieder über ’n paar Wörter gestolpert, die ich nich kenn. Hab sie angestrichen, damit du mir helfen kannst.«
»Zeig mal her.«
Sie zog ein paar Hefte aus ihrer überdimensionalen Handtasche, legte sie auf den Tisch und schlug vorsichtig die Seiten auf, deren Ecken sie umgeknickt hatte. Sie zeigte mir die Wörter, die sie mit einem Bleistift unterstrichen hatte. Ich konnte ihr jedes Wort erklären und brachte ihr bei, wie man sie aussprach. Dann flitzte sie ins Wohnzimmer, schüttelte die Schuhe von den Füßen, legte sich aufs Sofa und begann zu lesen. Nub sprang hoch, kuschelte sich an ihre Füße, und Rosy vergrub die Zehen in seinem Fell.
Ich schaute hinaus zum Vorführhäuschen. Buster strich ihn gerade in einer leuchtend grünen Farbe. Mir kam der Gedanke, dass er vielleicht derjenige gewesen war, der damals den Zaun gestrichen hatte. Und wenn ja, dann war er vielleicht sogar der Künstler, der die Außerirdischen und das Drumherum gemalt hatte.
Eine Zeit lang beobachtete ich ihn beim Arbeiten. Im Gegensatz zu Rosy Mae schien er nur so vor Tatkraft zu strotzen, als müsse er lauter überschüssige Energie loswerden. Ich hätte ihn gerne nach den Bildern auf dem Zaun gefragt, aber ich traute mich nicht. Nicht, nachdem er mich so abgewiesen hatte.
Ich humpelte nach oben, steckte mein Tarzan-Buch ein, ging nach draußen und setzte mich auf die breite Veranda, die dem Kinoparkplatz zugewandt war. Kurz darauf war ich tief in Tarzans Welt versunken.
Ich hatte das Buch schon fast ausgelesen, da fiel ein Schatten über mich. Ich schaute auf. Es war Buster.
»Stan, kannst du vielleicht dieses fette Weibsstück dazu bewegen, dass sie mir ’ne Limonade oder so was bringt?«
»Das hab ich gehört«, rief Rosy Mae vom Wohnzimmer herüber. Sie hatte die Fenster geöffnet, um jedes noch so schwache Lüftchen hereinzulassen, und vor den Fliegengittern machten Stimmen bekanntermaßen nicht halt.
»Und wenn schon«, erwiderte Buster. »Hauptsache, ich krieg meine Limonade.«
Rosy Mae erschien in
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