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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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ihn gegen Mittag zur Hälfte mit Krebsen gefüllt. Richard nahm sie mit nach Hause und gab sie seiner Mutter, die sie so lange garte, bis sie rosa waren. Dann kochte sie Reis und Gemüse dazu und rührte alles zusammen.
    Ein oder zwei Mal war ich beim Essen dabei gewesen, und ich mochte die Krebse nicht besonders. Ich fand, sie schmeckten nach Schlamm. Außerdem stimmte mich der Anblick von Richards Mutter traurig, die wie ein geprügelter Hund herumschlich, mit einem Veilchen, einer geschwollenen Nase und einer aufgeblähten Lippe wie ein geflickter Fahrradschlauch. Ich brauchte bloß über den Tisch zu Richards Dad zu schauen, der über seinem Teller hockte wie eine dunkle Wolke, die jederzeit auf die Welt niederregnen konnte, und schon verging mir der Appetit.
    Eines Tages kam Richard mit dem Fahrrad zu uns und hatte ein blaues Auge.
    »Was ist passiert?«, fragte ich ihn.
    »Daddy und Mama haben sich gestritten«, sagte er. »Ich hab versucht, Daddy daran zu hindern, sie zu treten. Er hat mir ein Veilchen verpasst und sie trotzdem getreten.«
    »Tut mir leid für dich.«
    »Wahrscheinlich haben Mama und ich es verdient.«
    »Nein, habt ihr nicht.«
    »Komm schon, gehn wir Krebse fangen«, sagte er.
    Als wir unten beim Bach saßen und unser Glück versuchten, fingen Richard und ich an, über den Geist bei den Bahnschienen zu reden.
    »Du, wollen wir heute Nacht abhauen und uns dort mal umschauen? Ich bring dich zurück, bevor überhaupt irgendjemand merkt, dass du weg bist!«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
    »Du kannst nicht dein ganzes Leben lang ein Schisser bleiben.«
    »Ich bin kein Schisser.«
    »Du machst immer genau das, was man dir sagt, oder etwa nicht? Ich gehe Risiken ein.«
    »Na ja, mein Daddy vermöbelt mich ja auch nicht wegen jeder Kleinigkeit. Er vermöbelt mich nie.«
    »Mein Daddy sagt, er versucht bloß, einen Mann aus mir zu machen.«
    »Er versucht bloß, dir den Arsch zu versohlen. Und deine Mutter schlägt er auch. Mein Daddy würde meine Mutter niemals schlagen.«
    »Deswegen ist sie auch so frech.«
    »Na und?«
    »Werd doch nicht gleich sauer. Aber wenn du dich jetzt prügeln willst, nur zu. Ich hab keine Angst.«
    »Du kannst mich ja verprügeln, aber red nicht schlecht über meine Mom oder meine Familie.«
    »Du hast angefangen.«
    Ich hockte immer noch am Flussufer und ließ die Schnur mit dem Speck ins Wasser baumeln. Ich dachte einen Augenblick nach, dann räumte ich ein: »Da hast du wohl recht. Ich hab’s nicht böse gemeint.«
    »Ich auch nicht. War nur Spaß, als ich Schisser zu dir gesagt hab. Du bist gar kein Schisser.«
    »Danke.«
    »Kein Problem. Also, wollen wir nun abhauen oder nicht?«
    »Warum nicht«, sagte ich.
    »Ich komm heute Nacht zu dir. So gegen elf. Klappt das bei dir?«
    »Sagen wir lieber Mitternacht.«
    »Bis zur Sägemühle nehmen wir das Fahrrad, und von da aus laufen wir, da gibt’s nämlich nur noch einen Holperpfad.«
    Wir wickelten unsere Schnüre um kleine Stöcke, steckten sie für das nächste Mal, wenn wir ein Stück Speck ergattern konnten, unter der Brücke in die Erde, und dann begleitete ich Richard nach Hause. Er trug den Eimer mit den Krebsen.
    Wir liefen an der alten verlassenen Sägemühle vorbei. Das meiste Holz war völlig verrottet, manches war auch weggerissen und wieder zum Bauen verwendet worden. Ein einziges Gebäude war einigermaßen verschont geblieben. Es stand auf Pfählen, und durch ein scheibenloses Fenster waren Maschinen zu erkennen. Das Dach lief kegelförmig zu und war verrostet, sodass es im Mondschein aussah wie aus Gold.
    An der Vorderseite hatte das Gebäude eine Öffnung, aus der eine lange metallene Rinne herausführte. Sie hing an rostigen Ketten von verstellbaren Stangen herab und senkte sich auf einen feuchten, schwarz angelaufenen Haufen Sägespäne herunter, der von Wind und Regen zerwühlt worden war. Blauhäher riefen im Wald, und einer landete kurz auf der langen Rinne. Schon unter seinem leichten Gewicht geriet sie an den Ketten ins Schwanken. Der Vogel stieg wieder in den Himmel auf, wurde zu einem kleinen Punkt und verschwand.
    In Dewmont erzählte man sich viele Geschichten, und von Richard hatte ich eine über einen farbigen Jungen gehört, der in der Sägemühlenruine gespielt und sich überlegt hatte, dass es bestimmt Spaß machen würde, von der alten Rinne in das Sägemehl hineinzurutschen. Aber als er in den Haufen hineinfiel, versank er ganz und wurde nie mehr gefunden.
    Wenn man dieser

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