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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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Erzählung Glauben schenkte, verrotteten irgendwo unter diesem riesigen Berg von Sägespänen seine Knochen, und vielleicht auch noch die Knochen anderer Kinder.
    Ich habe mich immer gefragt, woher die Leute wussten, dass er wirklich dort lag, wenn niemand gesehen hatte, wie es passiert war. Und wenn er dort lag, dann hätte doch inzwischen bestimmt jemand seine Leiche ausgegraben.
    Ich machte eine Bemerkung darüber, und Richard antwortete: »Seine Mutter hatte noch zwölf andere Kinder. Den einen kleinen Nigger hat sie nicht groß vermisst.«
    Als wir uns Richards Haus näherten, veränderte sich plötzlich seine Haltung. Er ließ die Schultern hängen, und seine Schritte wurden langsamer. Dann sagte er: »Ich glaub, wenn ich Daddy die Krabben zeige, ist er nicht mehr ganz so wütend darüber, dass ich so lang weg war.«
    Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, also gingen wir einfach weiter auf seinen Hof zu. Richard hatte mir erzählt, dass sie das Haus von den Eltern seiner Mutter geerbt hatten. Es war riesig und früher sicher einmal prachtvoll gewesen, aber von der einstigen Pracht war nichts mehr zu entdecken.
    Im Garten wucherte hohes Gras, von einem rissigen Betonweg durchzogen. Die Veranda bog sich durch, die Haustür hing schief in den Angeln. Auf der einen Seite hatte das Vordach ein Loch; schwarze Bretter ragten daraus hervor, die irgendwie feucht und weich aussahen, als könne man sie mit bloßen Händen zerreißen.
    Im Hintergrund hörte ich den großen schwarzen Hund bellen. Er zerrte an der Kette, mit der er am Wäscheständer festgebunden war.
    Richard blieb stehen und starrte den Hund an, der von links nach rechts lief. »Daddy liebt diesen Hund. Er ist total verrückt nach ihm.«
    Hinter dem Wäscheständer und dem Hund lagen ungefähr zwanzig Morgen Land, auf denen Mr Chapman Kartoffeln und Erbsen anbaute. Dort befanden sich auch die eingefallenen Nebengebäude, das unterernährte Maultier, das vor den Pflug gespannt wurde, und ein Schwein, das etwas blutarm wirkte. Es suhlte sich in einem Schlammloch, das von eng eingeschlagenen, dicken Apfelholzpfosten umgeben war. Das Schwein lebte von Küchenabfällen und weggeworfenen Kuchen vom Vortag, die Mr Chapman in der Bäckerei holte.
    Als wir die Veranda betraten, ging die Tür auf, und Mr Chapman kam heraus. Er war ein großer, hagerer Mann, der aussah, als hätte ihn jemand zu feste ausgewrungen, nachdem er einmal nass geworden war. Nicht ein Tropfen Feuchtigkeit schien in seinem Körper oder seinen Haaren zu stecken, und seine Augen lagen dunkel und trocken in ihren Höhlen wie Kienäpfel.
    Er schaute erst mich, dann Richard an. »Was hast du da in dem Eimer, Junge?«
    »Krabben«, antwortete Richard. »Die reichen fürs Abendessen, glaub ich.«
    »Glaubst du. Reichen sie nun, oder reichen sie nicht?«
    »Ja, Sir.«
    »Du warst den ganzen Tag verschwunden, Junge. Ich hatte Arbeit für dich.«
    »Tut mir leid, Sir.«
    »Geh rein und gib den Eimer deiner Mama. Dein Freund kann nicht hierbleiben.«
    »Bis dann, Stanley«, sagte Richard und sah mich an, als hätte sein letztes Stündlein geschlagen.
    »Ja, bis dann«, sagte ich.
    Ich hörte die Tür in meinem Rücken zuknallen, und dann erklang ein dumpfes Klatschen. Hinter der Tür schrie Richard gellend auf, sein Vater sagte etwas mit strenger Stimme. Ich lief weiter, auf die Straße, mit schnellen Schritten, dorthin, wo die Sonne wärmer und heller schien, nur fort von dem Gras und den Bäumen und der großen, verfallenen Farm der Chapmans.
     
    Als ich bei unserem Autokino ankam, befand sich Mom in heller Aufregung. Beim Einkaufen mit Callie hatte sie ein Abenteuer erlebt. Sie trug ein schwarzes Kleid und einen schwarzen Hut mit roter Schleife, ungefähr so wie Robin Hood, wenn er in Trauer und ein Weichei gewesen wäre. Mom setzte den Hut ab, der nach einem komplizierten System mit mehreren Haarnadeln festgesteckt war, und legte ihn mit zitternden Händen auf den Geschirrständer neben der Spüle.
    »Er ist uns gefolgt, mitten auf der Straße«, erzählte sie Rosy Mae und mir.
    »Sind Sie sicher, dass er das war, Miss Gal?«
    »Na ja, eigentlich nicht. Ich hab ihn ja noch nie gesehen. Aber ich glaube, dass er es war. Er hatte einen Fedora auf, den er sich bis über die Augenbrauen ins Gesicht gezogen hatte. Und einen ziemlich langen Mantel. Er sah stark aus.«
    »Was für Schuhe hat er angehabt?«, fragte Rosy Mae.
    »Seine Schuhe habe ich mir nicht angeguckt«, erwiderte Mom. »Was mich

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