Ein Feuerwerk für Matzbach: Baltasar Matzbachs achter Fall (German Edition)
existieren.«
Baltasar kuppelte aus und ließ den Wagen rollen, bis er neben einer Laterne stehenblieb. Im Rückspiegel betrachtete er das Haus der Leute, denen man einen neugeborenen Jungen gestohlen hatte.
»Ob sie sich noch Hoffnungen machen?« sagte Yü.
»Kommt drauf an.«
»Worauf?«
»Zum Beispiel, wieviel Hoffnungen sie am Anfang hatten. Vielleicht haben sie inzwischen von den Kidnappern noch was gehört. Nettes Gemäuer.«
Das Haus, in dem sich Wohnung und Praxis befanden, war quadratisch: ein wenig der französische Landhaustyp. Matzbach schätzte, daß die beiden Stockwerke zusammen mehr als dreihundert Quadratmeter Wohnfläche boten; vielleicht hatten die Fleißners auch noch das Dach ausgebaut, und wenn er sich nicht irrte, lag der Praxiseingang vom Törchen aus rechts abwärts, eine metallbeschlagene Holztür im Souterrain. Die Fenster des eigentlichen Hauses waren nicht vergittert, es gab auch keine Rolladenkästen, nur hölzerne Läden alter Art. Um das Haus lag ein gepflegter Garten mit diversen Beeten und Gesträuch; kein Baum, der älter als vielleicht zehn Jahre sein konnte. Zur Hauptstraße wurde der Garten begrenzt durch ein etwa hüfthohes Mäuerchen mit aufgesetztem Metallgitter; zum Nachbarhaus gab es wie zum Feldweg hin eine hohe Ziegelmauer, und nach hinten, zum Richtung Bach abfallenden Gelände, eine lichte Hecke.
»Um da reinzukommen, muß man nicht besonders gelenkig sein«, sagte Yü.
»Willst du damit andeuten, selbst mir wäre es möglich gewesen, den Säugling zu klauen? Ich war’s aber nicht.«
»Hast du ein Alibi?«
Matzbach fuhr langsam wieder an. »Im Zweifelsfall war ich gerade auf dem Klo.« Dann stoppte er. »Moment.«
Im Rückspiegel sah er einen Mann aus dem hinteren Teil des Gartens kommen. Er trug abgerissene Freizeitklamotten und hatte eine Heckenschere unter dem linken Arm. Vor der Haustür blieb er stehen, legte die Schere auf die oberste der drei Stufen, zog etwas – vermutlich einen Schlüsselbund – aus der Hosentasche und schaute einmal kurz zur Straße, ehe er die Tür aufschloß und ins Haus ging.
»Ob er das war?« sagte Yü.
»Wer sollte es sonst sein? Aber das wird sich weisen.«
Der eigentliche Ort bestand aus meist schiefergedeckten und an den Wetterseiten mit Schiefer verkleideten Häusern, die in der Mehrzahl spätes 19. Jahrhundert zu sein schienen. Dazwischen gab es auch ein wenig Fachwerk. Die Kirche lag rechts der Hauptstraße, am Scheitelpunkt eines fast gleichseitigen Dreiecks: des mit Kopfsteinen gepflasterten Platzes. Ihr gegenüber, etwa in der Mitte der Fassadenfront, stand – unten Fachwerk, oben Schieferplatten – ein Lokal. ›Wahrscheinlich
das
Lokal‹, dachte Matzbach; ›eigentlich sollte es
Hypotenuse
heißen, oder
Opposition
, oder so.‹ Auf dem Messingschild, das über dem Eingang an einer kurzen Stange senkrecht zum Haus baumelte, war in verschnörkelten Lettern
Die Tränke
zu lesen; neben der Tür vermerkten weitere Schilder, es gebe Fremdenzimmer und bürgerliche Küche.
»Ich finde, das paßt sehr gut.«
Yü blickte ihn von der Seite an. »Du hast doch bestimmt gerade furchtbar gedacht, ohne mich zu informieren. Was, bitte, paßt sehr gut?«
»Das Kopfsteinpflaster zum Citroën, wir zu dem Lokal, das Lokal zur Kirche, die Umgebung insgesamt zu wandernden Kunstmalern.«
»Hier einquartieren?« Yü hob die Brauen; dann nickte er. »Warum eigentlich nicht? Hier gibt’s bestimmt reichlich Bier, also wirst du nicht viel trinken.«
Matzbach rümpfte die Nase. »Es könnte mir wie immer gelingen, dich zu erstaunen.«
Nachdem er den Wagen auf einen Kopfstein-Parkplatz bugsiert hatte, gingen sie in die
Tränke
. Offenbar war halb drei nachmittags nicht die richtige Zeit; das Lokal war leer. Durch lautes Rufen und Händeklatschen scheuchte Matzbach eine etwas verhuschte Kellnerin in einem der hinteren Räume auf. Sie zeigte ihnen zwei schlichte Zimmer, jeweils mit Bad und schlichtem Preis; als Matzbach ihr daraufhin zwanzig Euro in die Hand drückte, machte sie eine schlichte Art Knicks.
Auf dem Weg zum Wagen, aus dem sie das Gepäck holen wollte, sagte Yü halblaut:
»Bißchen heftig, oder? Zwanzig?«
»Vielleicht weiß sie was. Und wenn sie sich bei Fragen an das Trinkgeld erinnert, könnte das dem Erinnern an mögliche Antworten helfen.«
»Die sieht nicht so aus, als ob sie viel wissen könnte.«
»Denk an stille Wasser. Und wenn nichts dabei herauskommt, haben wir jedenfalls jemanden überrascht und ein
Weitere Kostenlose Bücher