Ein Feuerwerk für Matzbach: Baltasar Matzbachs achter Fall (German Edition)
Kneipe hat die Gäste, die einander verdienen.«
Yü verzog das Gesicht, etwa wie bei heftigem Zahnschmerz.
Baltasar, die halbleere Flasche unterm linken Arm, das Glas in der Rechten und die vor dem Essen nur halb gerauchte Zigarre zwischen den Zähnen, ging voran in das Gedränge. Dabei brüllte er: »Wahrschau! Gangway!«
Redner, Raucher und Trinker wichen; fast wäre Matzbach, der den sich bahnenden Gang hemmungslos nutzte, über Lemberger gestolpert, der nicht schnell genug beiseite rollen konnte.
Der Bestatter strahlte ihn an. Ohne die alte Bruyère-Pfeife aus dem Mund zu nehmen, sagte er: »Hat mir gefallen, Ihre Zigarrenrede.« Leiser setzte er hinzu: »Die sind ja so was von blöd!«
Mit dem Kinn deutete Matzbach zur offenen Tür. »Kommen Sie mit? Draußen ist die Luft nicht so von Zugereisten durchsetzt.«
Lemberger stieß ein schrilles Keckern aus. »
Sie
haben es gerade nötig! Aber na gut.«
Yü hatte etwa zehn Quadratzentimeter freien Tresen erobert, stellte dort sein leeres Glas ab und wartete offenbar darauf, daß der Wirt sich zu ihm umdrehte. Mertens fummelte gerade an Apparaturen herum; entweder fühlte er sich durch die Gespräche seiner Gäste belästigt, oder ihn verlangte nach Abwechslung. Jedenfalls erfolgte plötzlich eine Eruption: Musik schwoll.
Baltasar floh; noch auf dem Weg ins Freie registrierte er dankbar, daß die Lautstärke reduziert wurde, und daß es sich um barocke Fanfaren handelte.
»Hätte ja auch Rap sein können«, sagte er.
»Macht er manchmal, wenn er schließen will.« Lemberger nahm die Pfeife aus dem Mund, trank zweieinhalb Schluck Bier, ächzte wohlig und klemmte die Pfeife wieder zwischen die Zähne.
»Und? Wirkt das?«
»Weiß ich nicht. Ich gehe dann immer.«
Matzbach nickte. »Versteh ich gut. Wahrscheinlich bleiben dann nur die schönen Menschen zurück; was wahrscheinlich die sind, die er eigentlich loswerden will.«
»Was Sie als Zugereiste bezeichnet haben, ja? Sie Zugereister.«
»Ich bin kein Zugereister, ich bin Tourist.«
Auf dem Bürgersteig vor der
Tränke
tummelten sich bereits tapfere Trinker; einige standen, sichtlich begeistert, neben dem Citroën und streichelten ihn mit Blicken. Auch auf dem Platz lungerten einige, die zuvor im Lokal gewesen waren. Sie lehnten an Bäumen, hockten auf dem Rand der schmucken viereckigen Blumenkästen aus Bunkerbeton oder hielten sich an ihren Gläsern aufrecht. Lemberger ging ein paar Schritte nach rechts, wo der rücksichtsvolle Besitzer eines Kram- und Antiquitätenladens unter seinem Schaufenster einen breiten Sims angebracht hatte. Dort ließ er sich nieder und klopfte auf die freie Fläche neben sich.
»Was ist der Unterschied?«
Matzbach füllte sein Glas auf und stellte die Flasche zwischen seine Füße. »Zugereiste«, sagte er, »tun so, als wären sie Einheimische auf Durchreise; hiesige Fremde, könnte man sagen. Touristen tun so, als wären sie Fremde, damit man nicht auf den Gedanken kommt, sie könnten heimisch werden. Und Sie? Sind Sie ein Eingeborener?«
»Ich bin zugereister Einheimischer.«
»Hab ich mir gedacht. Von wegen Lemberger.«
»Jüdische Familie«, sagte der Bestatter. »Hab ich mir gedacht, daß Sie sich das gedacht haben.«
»Wie wird man dann Bestatter in einem Kaff im Bergischen?«
»Finden Sie das irgendwie makaber?«
»Eher … schräg, möchte ich sagen.«
»Ich bin Halbjude«, sagte Lemberger. »Ganzatheist und Halbjude. Wenn wir das Auserwählte Volk sind und der Herr die Schoa zuläßt, will ich lieber nicht wissen, wozu er uns sonst noch ausgewählt hat.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und betrachtete seine gesammelten Beißspuren. »Natürlich ist das keine besonders originelle Position, aber bin ich denn verpflichtet, originell zu sein?«
»Und Ihre Familie?«
»Die mehr oder minder katholische Verwandtschaft meiner Mutter hat meinen Vater von Versteck zu Versteck geschmuggelt; der Rest der Sippe ist nach Auschwitz gekommen. Dafür, daß einige Leute meinen Vater über der Erde erhalten haben, bringe ich jetzt deren Verwandtschaft unter die Erde. Ich finde, das ist so in Ordnung.«
»Wer wollte Ihnen widersprechen? Ich nehme aber an, daß hier vor allem katholisch verbuddelt wird, mit Pope und allem Zinnober. Gibt das keine Probleme?«
»Hier gab’s eine ganze Weile lang überhaupt keinen Bestatter. Deshalb sind die froh, daß sie mich haben.«
»Das klingt so, als ob Sie das noch nicht lange machten.«
Lemberger blickte ihn von der Seite an;
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