Ein Feuerwerk für Matzbach: Baltasar Matzbachs achter Fall (German Edition)
Tag, wovon einem schlecht ist.«
Als sie die Gaststube betraten, murmelte Yü: »Das erklärt die geringe Lautstärke …«
»Gefräßige Stille.« Baltasar grinste. »Übrigens meine Lieblingsmusik.«
Vier Männer saßen auf Hockern am Tresen; zwei tranken stumm vor sich hin, die beiden anderen, mit dem linken beziehungsweise rechten Ellenbogen auf der Theke, taten dies auch, widmeten sich dabei aber einem kleinen Schachspiel, das zwischen ihnen auf einem weiteren Hocker ruhte. Sechs der neun Tische waren besetzt; etwa zwei Dutzend Esser gaben sich dort der Vertilgung von Braten und Salaten hin.
»Wir wünschen allerseits köstliche Verdauung«, sagte Matzbach laut; dabei bewegte er die Rechte wie ein Staatsgast, der aus der gepanzerten Limousine das Volk grüßt. Bis sie einen freien Tisch in einer Ecke erreicht hatten, wurde ihnen allerlei Dankesgemurmel und Grimassenschneiden zuteil. Die einzige wirklich verständliche Äußerung tat die Baßstimme des Bestatters:
»Es schmeckt uns auch ohne Ihr Geschwätz.«
Der Wirt brachte ihnen Speisekarten. »Wissen Sie schon, was Sie trinken möchten?«
»Ein Pils, bitte«, sagte Yü. »Und – wie sollen wir Sie eigentlich anreden? Herr Wirt? Pater? He Sie da?«
»All das ist zulässig.« Der Wirt lächelte. »Wenn Sie es gern ziviler hätten: Leonhard Mertens, zu Diensten.«
Baltasar wedelte mit der Karte. »Wie ich hier sehe, haben Sie einen achtundneunziger Priorato, Don Leonardo; bringen Sie mir doch davon bitte ein Fläschchen.«
Auf dem Weg zum Tresen stellte der Wirt ein Reserviert-Schild auf den Nachbartisch.
Matzbach hatte sich schnell für das Tagesgericht entschieden: Rinderbraten, Kartoffeln, Erbsen. Er fand es ausreichend sommerlich, um es mit katalanischem Rotwein zu kombinieren. Yü schien seinen heiklen Abend zu haben oder eher an Lektüre denn an Nahrung interessiert zu sein; während er blätterte und las, lehnte sich Matzbach zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und ließ seine Blicke schweifen.
Der kugelförmige Bestatter, Lemberger, war der einzige, den er vom Sehen kannte. Und der einzige, der hingebungsvoll fraß. Alle anderen, etwa je zur Hälfte Frauen und Männer, aßen extrem manierlich, beinahe geziert; die meisten wollten unter 40 sein, bei einigen schien dies auch zu stimmen. Schlank, sportlich, braungebrannt, Kleidung zwischen teuer und affektiert lässig; die Damen mit Schmückern und Make-up, etliche der Herren mit Siegelring. Soweit Baltasar die Tische überblicken konnte, war Lemberger wohl auch der einzige, der das zu sich nahm, was mit dem scheußlichen Begriff »Sättigungsbeilage« bezeichnet wurde: vor allem Kartoffeln. Die übrigen rührten derlei nicht an oder hatten sich Belieferung damit von vornherein verbeten.
Matzbach betrachtete eben den besonders prunkvollen Siegelring eines besonders prunkvollen jungen Gentleman, als Yü vom Kartenstudium aufschaute, Baltasars Blicken folgte und mit einem flüchtigen Lächeln sagte:
»Der Edle verbirgt seinen Adel; der Sklave protzt mit Ketten.«
Baltasar knurrte: »Sein Vater pflegte, nehme ich an, die Serviette mit einer diamantbesetzten Spange am Schlips zu befestigen. Sein Sohn wird Vorhautpiercing vorziehen; weshalb dem Globus Enkel erspart bleiben dürften.«
»Hühnerfrikassee«, sagte Yü.
»Dein Kommentar oder dein Essenswunsch?«
»Ja.«
»Ach so.«
Die Kellnerin, von Baltasar geschmiert und insgeheim Gudrun-die-Verhuschte geheißen, erschien mit größeren Salatmengen aus der Küche. Nachdem sie diese auf zwei Tischen besonders schöner Menschen hinterlegt hatte, kam sie zu Yü und Matzbach. Mit einem Lächeln, das Matzbach als beflissen-besorgt deutete, sagte sie:
»Haben Sie was gefunden?«
Yü bestellte Frikassee mit Reis, Matzbach bat um Braten und setzte hinzu:
»Aber bitte ersparen Sie mir den Salat; verträgt sich nicht mit Rotwein. Und … essen die hier alle keine Kartoffeln? Nudeln? Brot? Reis?«
Gudrun hob eine Braue und sah plötzlich nur noch halb so verhuscht aus. »Die doch nicht! Nur die Einheimischen.«
Als sie gegangen war, sagte Yü leise: »Deinen schweifenden Blicken ist sicher der Garderobenständer nicht entgangen, oder?«
Baltasar nickte. »Ist er nicht. Auch der Schal daran entging mir keineswegs. Er ist aber nicht türkis, sondern bei längerem Hinsehen fast aquamarin. Und die roten Objekte darauf sind nicht grell, sondern dezent – Regenschirme und Autos, wenn ich mich nicht irre.«
»Ein Jammer. Hätte ja sein
Weitere Kostenlose Bücher