Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
Hall erreicht, und Avesbury brachte die Pferde vor dem Haupteingang zum Stehen. Zuvor schon hatte er Nicholas’ Einladung, die Nacht bei ihm zu verbringen, abgelehnt.
„Dann willst du zurück zu den Cheadles?“
„Ja. Es wäre mir sehr unangenehm, sie durch eine lange Abwesenheit zu kränken. Ich habe mich nämlich entschlossen, um Penelope anzuhalten.“
„Oh!“ Nicholas musterte seinen Freund ungläubig. Dann jedoch fasste er sich. „Darf man schon gratulieren? Ich wünsche dir jedenfalls alles Glück der Welt. Und grüß deine Schwiegermutter von mir.“
„Danke. Tatsächlich ist es noch nichts Offizielles. Aber morgen früh werde ich mich mit Mr. Cheadle zusammensetzen, um alles mit ihm zu regeln. Ich mag seine Tochter. Sie ist ein nettes kleines Ding.“ Er zog seinen Kutschiermantel fester um die Schultern und zwinkerte seinem Freund zu, der inzwischen aus dem Phaeton geklettert war. „Nimm dir ein Beispiel an mir, Nick!“
Der wollte schon eine spöttische Antwort geben, als Charles plötzlich ausrief: „Jetzt ist es mir eingefallen! Stamppe! Ich wusste doch, dass ich den Namen schon einmal gehört habe. Oder gelesen. Kürzlich stand in der Zeitung, dass Philip Stamppe, 5. Earl of Vespian, gestorben ist. In Paris, glaube ich. Deine Serena wird wohl eine entfernte Verwandte von ihm sein.“
Nicholas war blass geworden, was Avesbury jedoch nicht mehr sah, da er seine Pferde bereits auf die Straße zum Dorf gelenkt hatte.
Wenig später saß Nicholas über einen Stapel Zeitungen gebeugt in der Bibliothek. Neben ihm stand ein Glas Madeira, an dem er ab und zu nippte. Seine Gedanken drehten sich um Serena. Immer wieder sah er ihr Bild vor sich, wie sie mit aufgelöstem Haar vor ihm im Heu lag. Ihm war, als spüre er wieder ihre Lippen auf den seinen und als könne er unter seinen Händen ihre samtene Haut fühlen. Er verzehrte sich nach ihr. Er wollte sie besitzen. Sie sollte ihm gehören, ganz und gar, immer und immer wieder. Wahrhaftig, er konnte an nichts anderes denken! Ja, er war geradezu besessen von ihr. Wie sollte er nur die Nacht überstehen, wenn er schon jetzt halb wahnsinnig vor Verlangen war?
Die große Standuhr in der Halle schlug die volle Stunde, und ihm wurde bewusst, dass man bald das Dinner servieren würde. Vorher aber wollte er wenigstens noch einige der Zeitungen durchschauen.
In diesem Moment klopfte es, und Hughes trat mit einem Silbertablett ein, auf dem ein Brief lag. Ein Schreiben von Frances Eldon. Es musste etwas Wichtiges sein, wenn der Bote bis in die Nacht geritten war, um den Brief zu überbringen. Gespannt nahm Nicholas ihn entgegen und brach das Siegel. Während er die Zeilen überflog, verfinstert sich seine Miene. Und als er das Blatt schließlich auf den Tisch warf, war sein Gesicht eine Maske des Zorns.
Am nächsten Morgen erwartete Nicholas seine Besucherin auf der Treppe, die zum Vordereingang hinaufführte. Es war trocken, aber kühl, sodass Serena einen warmen Mantel über ihrem blassblauen Musselinkleid trug. Als sie Nicholas auf den Stufen entdeckte, machte ihr Herz einen Satz. Er sah so attraktiv, so männlich aus! Sie begann zu zweifeln, ob sie ihren Vorsatz, sich nie wieder von ihm küssen zu lassen, würde treu bleiben können.
Was hatte er zum Abschied zu ihr gesagt? Auch ich sehne mich nach einer Lösung. Sie hatte nicht genau gewusst, was er meinte. Im Allgemeinen suchte man nach Lösungen für Probleme. Sein Problem war wahrscheinlich, dass er sich so heftig von ihr angezogen fühlte und bisher sein Ziel, sie zu verführen, nicht hatte erreichen können. Nun, auch sie litt unter der magischen Anziehungskraft, die zwischen ihnen herrschte, und sehnte sich nach Erfüllung. Doch nein, das stimmte so nicht. Sie litt darunter, dass es keine Zukunft für sie und Nicholas gab. Trotzdem freute sie sich auf das Zusammensein mit ihm.
Ihre Freude verblasste, als sie sah, wie kalt seine Augen blickten und wie hart sein Gesicht wirkte. Furcht überkam sie. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte sie und blieb am Fuß der Treppe stehen.
Er musterte sie schweigend.
„Nicholas?“
„Kommen Sie herein, Serena. Im Frühstückszimmer wartet eine Kanne Tee auf uns.“
Eine Zeit lang saßen sie sich gegenüber und nippten an ihren Tassen. Im Kamin prasselte ein kleines Feuer, durchs Fenster konnte man die Morgensonne sehen, die kleine Uhr auf dem Kaminsims tickte, der Tee war hervorragend. Auf den ersten Blick schien alles wie immer. Und doch war heute
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