Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
bespritzten Kutsche und musste sich ärgerlich eingestehen, dass er noch immer zu keinem Entschluss bezüglich der nächsten Tage gekommen war. Immerhin war ihm während der langen beschwerlichen Fahr klar geworden, dass er Serena nicht einfach ihrem Schicksal überlassen konnte. Vermutlich war es ihr Onkel gewesen, der die beiden Straßenräuber angeheuert und auch für den ersten misslungenen Mordanschlag gezahlt hatte. Serena brauchte Schutz. Und er selbst brauchte Zeit zum Nachdenken.
„Ich werde Sie zu diesem Anwalt begleiten“, sagte er. „Wir sollten ihn gleich morgen aufsuchen. Je eher er Ihre Identität bestätigt, desto besser für Sie. Ich werde mich für die Echtheit der Dokumente verbürgen.“
„Es ist sehr freundlich von Ihnen, aber absolut unnötig. Die Papiere sprechen für sich. Und ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Schließlich habe ich das getan, seit Papa gestorben ist.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich werde gegen elf Uhr hier sein.“ Damit zog er ihre Hand an die Lippen, begleitete sie bis zum Eingang des Hotels und gab ihr tatsächlich einen kleinen Schubs, damit sie, ohne zu zögern, eintrat.
Sie stand ein wenig verloren in der Halle, während draußen der Hilfskutscher ihre Reisetaschen und Kisten ablud. Doch da trat schon einer der Pagen auf sie zu und fragte, ob er sie zum Empfang begleiten dürfe.
Vom Pulteney bis zu Nicholas’ Stadthaus war es nicht weit. Dort wurde er von seinem Butler mit einer tiefen Verbeugung und der Nachricht empfangen, dass seine Stiefmutter und seine Schwester daheim seien.
Das bedeutete wohl, dass er sich auf eine langweilige Stunde gefasst machen musste. Er unterdrückte einen Fluch, ließ sich aus dem Mantel helfen, richtete vor dem Spiegel rasch sein Krawattentuch und begab sich dann zum Salon, in dem die Damen sich aufhielten.
Es handelte sich um einen geschmackvoll eingerichteten Raum mit großen Fenstern, von denen aus man die Straße überblicken konnte. Die Vorhänge waren ebenso wie die Bezüge der Stühle und der Chaiselongue in verschiedenen Goldtönen gehalten. Die Möbel, die regelmäßig mit Bienenwachs poliert wurden, schimmerten im Sonnenlicht.
„Nicholas!“ Seine Schwester sprang auf und warf sich ihm in die Arme.
Sie war ein hübsches Mädchen von siebzehn Jahren, das ein gnädiges Schicksal sowohl vor Babyspeck als auch vor hässlichen Pickeln bewahrt hatte. Georgies graue Augen ähnelten denen ihres Bruders. Doch ansonsten waren die Geschwister sehr verschieden. Während sein Haar tiefschwarz war, glänzte ihres in einem hellen Braun. Ihr kleiner roter Mund erinnerte an eine Rosenblüte, ihre milchweiße Haut entsprach genau dem englischen Ideal, ihr Kinn war rund und noch ein wenig kindlich. Auch ihr Lachen klang noch sehr schulmädchenhaft. Doch auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte sie sich schon recht sicher, auch wenn sie gelegentlich noch etwas linkisch war, was in den Augen mancher Gentlemen ihren Charme erhöhte. Zudem verfügte sie über ein untrügliches Gespür dafür, welche Kleider ihr besonders gut standen.
An diesem Abend hatte sie ein verspieltes Kleid aus gesprenkeltem Musselin gewählt, in dem sie ganz bezaubernd aussah. Mit glücklich strahlenden Augen schaute sie zu ihrem großen Bruder auf und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken.
Nicholas legte ihr liebevoll die Arme um die Schultern, drückte sie und sagte: „Du siehst hinreißend aus.“
„Danke!“ Sie knickste, was gewiss einen guten Eindruck gemacht hätte, wenn sie nicht mit einem Fuß auf Nicholas’ Zehen gestanden hätte. „Mein Lieber“, fuhr sie unbekümmert fort, „du ahnst ja nicht, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen. Aber warum hast du uns deine Ankunft nicht angekündigt? Gestern bei Almack’s habe ich Charles getroffen, der nicht mit deinem Erscheinen in London zu rechnen schien. Er hat mir übrigens ein nettes Kompliment zu meinem Ballkleid gemacht. Und da er selbst doch so genau weiß, was gerade modern …“
„Georgiana“, unterbrach ihre Mutter sie, „läute bitte nach frischem Tee. Dein Bruder wird durstig sein.“ Sie wandte sich ihrem Stiefsohn zu: „Nicholas, wie geht es dir?“
Die Stimme der zierlichen blassen Schönheit, die auf der Chaiselongue lag, war angenehm, hörte sich allerdings so an, als sei die Dame schwer krank und müsse tapfer gegen starke Schmerzen ankämpfen. Nicholas wusste sehr gut, dass dem nicht so war. Seine Stiefmutter hatte
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