Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
sich seit jeher in der Rolle der Leidenden gefallen. Und seit sie Witwe war, betonte sie noch öfter, wie schwach sie sei und welche Opfer das Leben von ihr verlange.
Nicholas trat zu ihr, hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken und zog einen Stuhl heran, um sich zu ihr zu setzen. „Guten Abend, Melissa. Wie ich sehe, hat dein Gesundheitszustand sich nicht verändert.“
Sie seufzte. „Ich wünschte, ich wäre etwas kräftiger! Du kannst dir sicher vorstellen, wie schwer es mir fällt, all die Anstrengungen auf mich zu nehmen, die erforderlich sind, um deine Schwester in die Gesellschaft einzuführen. Natürlich möchte ich, dass sie die Saison genießt. Trotzdem wäre es gut, wenn ich mich ab und zu etwas schonen könnte.“ Sie hob ein Fläschchen mit Riechsalz an die Nase. „Aber ich will nicht klagen. Ich werde einfach weiterhin mein Bestes geben. Leider spüre ich nur zu deutlich, wie meine Kräfte nachlassen.“
„Mama“, mischte Georgie sich ein, „die Saison hat gerade erst begonnen. Und ich hoffe sehr, dass du nicht vorhast, auch nur eine einzige der Einladungen abzusagen, die wir bisher angenommen haben.“
„Ich darf mich nicht überanstrengen“, stellte Melissa fest. „Wenn ich …“ Sie unterbrach sich, da gerade in diesem Moment eines der Dienstmädchen erschien. Mit dem Auftrag, frischen Tee zu bringen, schickte sie es zurück in die Küche. „Bestimmt bist du nach der langen Reise erschöpft, Nicholas. Wenn du etwas getrunken hast, wirst du dich vermutlich hinlegen wollen. Ja, vor dem Dinner solltest du unbedingt etwas ruhen. Hättest du gern einen angewärmten Stein für dein Bett?“
„Nein, danke, das wird nicht nötig sein.“ Heißer Stein im Bett und Tee, wahrhaftig! Ihm stand jetzt der Sinn nach ganz anderen Dingen. Was Serena wohl gerade tat? Ach, verflixt, es war nicht gerade hilfreich, an sie zu denken. Entschlossen wandte er sich seiner Schwester zu. „Du musst mir alles über deine Eroberungen erzählen, Georgie! Bestimmt liegt dir halb London zu Füßen. Weißt du, dass Charles sich verlobt hat? Ich glaube, er beabsichtigt, einen Ball zu geben.“
„Die Eltern seiner Braut richten den Ball aus. Wir haben schon eine Einladung erhalten. Aber Mama fürchtet, es könne ihr zu viel werden.“
Tatsächlich sah Melissa in diesem Moment so aus, als sei sie im Begriff, sich unter dem Vorwand, mit ihren Kräften am Ende zu sein, zu Bett zu begeben und tagelang dort zu verweilen.
Arme Georgie, dachte Nicholas, sie hätte etwas Besseres verdient. Wenn sie die Saison genießen sollte, brauchte seine Schwester eine Gesellschafterin oder Anstandsdame.
Und da war sie nicht die Einzige! Auch Serena konnte sich nicht ohne weibliche Unterstützung ins gesellschaftliche Leben stürzen. Ihr mörderischer Onkel würde gewiss nicht bereit sein, ihr die ersten Schritte zu ebnen.
Georgie und Serena! Warum ist mir die Idee nicht schon eher gekommen, fragte Nicholas sich. Die beiden würden einander mögen. Zudem würde jede davon profitieren, mit der anderen gesehen zu werden. Vielleicht würde Serena das nicht sofort zugeben. Aber er würde schon dafür sorgen, dass sie es begriff. Ja, er war bereit, einiges auf sich zu nehmen, um sein Gewissen zu beruhigen. Mit seiner Hilfe würde Serena ihren Platz in der guten Gesellschaft finden.
Der Tee kam. Und so fiel es nicht weiter auf, dass Nicholas plötzlich sehr schweigsam geworden war. In Gedanken setzte er sich mit verschiedenen Problemen und deren Lösung auseinander. Zuerst einmal musste er seine Schwester und Serena miteinander bekannt machen.
„Ich habe eine junge Dame nach London begleitet“, sagte er und unterbrach damit Georgies Bericht über einen kurzen, aber aufregenden Besuch in Vauxhall Gardens. „Es handelt sich um die einzige Tochter eines alten Freundes unseres Vaters. Sie ist etwas älter als du. Deshalb erscheint sie mir durchaus geeignet, dich zu ein paar Gesellschaften zu begleiten. Da sie sich zum ersten Mal in London aufhält, wäre sie sicher dankbar, dich an ihrer Seite zu haben. Deiner Mutter würde es außerdem die Gelegenheit verschaffen, sich ein wenig von den Anstrengungen der letzten Wochen zu erholen.“
Seine Schwester zog einen Schmollmund. „Ich soll mit einer alten Dame ausgehen?“
„Aber nein! Sie ist nicht alt. Vierundzwanzig, glaube ich. Eine Schönheit. Doch zum Glück ist sie blond und daher keine echte Konkurrenz für dich. Es wird sehr hübsch aussehen, wenn ihr gemeinsam auftretet. Was
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