Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
allein.
Tatsächlich beabsichtigte Nicholas nicht, die Zeitung zu lesen. Es gab viel zu viel, über das er nachdenken musste. Einbrecher trugen in der Regel keine Messer bei sich und flohen lieber, als sich auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Deshalb nahmen sie auch vorzugsweise all das mit, was sie in den Räumen fanden, in denen niemand sich aufhielt. Finger-Harry aber war, wie Georgie behauptete, zielstrebig in Serenas Schlafzimmer eingedrungen.
War es denkbar, dass Matthew Stamppe erneut versucht hatte, Serena ermorden zu lassen?
Entschlossen griff Nicholas nach der Klingelschnur. Er würde einen seiner Diener mit einer Nachricht zu Frances Eldon schicken.
Tatsächlich meldete Eldon sich wenig später zur Stelle. Als Sohn des Schulmeisters von Knightswood kannte er Nicholas schon von Kindheit an. Die beiden vertrauten einander völlig. Und nie ließ Eldon sich seine Verwunderung über die teilweise sehr ungewöhnlichen Aufträge anmerken, die Nicholas ihm erteilte. So nahm er es auch völlig gelassen zur Kenntnis, dass er sich mit einem gewissen Finger-Harry in Verbindung setzen und herausfinden sollte, wer diesen dafür bezahlt hatte, in ein bestimmtes Haus an der Upper Brook Street einzubrechen.
Nachdem der Anwalt sich verabschiedet hatte, machte Nicholas sich auf, um Serena einen Besuch abzustatten. Er musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es ihr den Umständen entsprechend gut ging.
Sie hatte sich unterdessen angekleidet und empfing ihn im Kleinen Salon. Obwohl sie noch wenige Stunden zuvor entschlossen gewesen war, ihn nie wiederzusehen, musste sie sich eingestehen, dass seine kraftvolle männliche Gestalt ihr ein Gefühl der Sicherheit vermittelte.
„Georgie hat mir von dem Einbrecher erzählt“, begann er und setzte sich unaufgefordert zu Serena aufs Sofa.
Sogleich begann ihre Haut zu prickeln. Ihr Herz schlug schneller, und da waren auch wieder diese Schmetterlinge im Bauch. „Finger-Harry? Der ist im Gefängnis. Ich glaube, er hat sich sehr geschämt, weil er von einer Frau niedergeschlagen worden ist.“
„Ja, Sie sind wirklich eine ungewöhnliche Frau. Nun, wahrscheinlich haben Sie in den Spielsalons Ihres Vaters noch weitaus größere Heldentaten vollbracht.“
Seine Worte, die als Scherz gemeint waren, riefen ihr in Erinnerung, was sie in Mile Ende erfahren hatten. Sie wurde blass, und Nicholas beeilte sich, ihr zu versichern, dass er es zutiefst bedaure, sie an das Schicksal ihres Papas erinnert zu haben.
„Bitte, hören Sie endlich auf, sich Vorwürfe zu machen!“, gab Serena zurück. „Unsere Väter waren Freunde. Und daran hat sich bis zu ihrem Tod nichts geändert. Papa hat England freiwillig verlassen. Ja, ich denke, er war sogar ein wenig erleichtert darüber, sich so vor seinen Pflichten als Earl drücken zu können.“ Sie seufzte. „Ich möchte dieses Kapitel im Buch meines Lebens gern für immer schließen.“
„Und was ist mit dem Kapitel, in dem es um uns geht?“
„Auch das ist geschlossen. Daran vermag nichts und niemand etwas zu ändern. Ich kann unmöglich einen Mann heiraten, der mich nicht liebt. So bald wie möglich werde ich London verlassen. Am liebsten gleich morgen. Heute werde ich allerdings noch am Ball der Cheadles teilnehmen. Das habe ich Georgie versprochen.“
Er fühlte sich elend. „Bitte, bleiben Sie wenigstens noch ein paar Tage.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Verflixt, Serena, seien Sie doch nicht so eigensinnig!“
„Ich bin nicht eigensinnig, sondern vorausschauend. Wir hatten eine wundervolle Zeit, an die ich stets gern zurückdenken werde. Aber ich möchte auf keinen Fall erleben, wie unser Idyll an Langeweile und eingefahrenen Gewohnheiten zerbricht. Es wäre mir unerträglich, wenn Sie mich irgendwann als Last empfänden.“
„Ich nenne das nicht vorausschauend, sondern wirrköpfig!“ Er sprang auf und begann, im Raum auf und ab zu laufen. So viel war in den letzten Wochen geschehen – die Suche nach Serenas Papieren, die Episode in der Scheune, die verschiedenen Mordanschläge, der Besuch in Mile End, die beiden Liebesnächte mit Serena –, so viel, dass Nicholas das Gefühl hatte, seine Welt sei aus den Angeln gehoben worden. Nun war er verwirrt, und in seinem Inneren herrschte ein wildes Chaos. O Gott, was hätte er darum gegeben, wenn alles wieder so hätte sein können wie früher! „Sie haben mein ganzes Leben durcheinandergebracht“, rief er. „Ich sollte mich freuen, Sie loszuwerden! Wenn Sie
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