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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Wärter nennen – sie waren »Vollzugsbeamte« –, sie wiederum nannten alle anderen »Arschgesicht«, unabhängig von Rasse, Haftgrund oder Einstellung. Was sonst noch? Die Cuisine war beschissen. Die Arbeit war beschissen. Die Mithäftlinge waren beschissen. Besaufen konnte man sich mit einer ranzigen, wäßrigen Flüssigkeit aus Brot, Orangen, Wasser und Zucker, die man vier Tage lang in einer hinten im Spind versteckten Plastiktüte gären ließ. Drogen kamen in der Vagina von Freundin oder Ehefrau, oder sie steckten in Kondomen, die während des ersten langen, genüßlichen Kusses zur Begrüßung vom weiblichen in den männlichen Mund wechselten. Tierwater nahm keine Drogen. Und er hatte keine Freundin. Seine Frau – jetzt Exfrau – besuchte ihn einmal im Monat, wenn er Glück hatte. Und seine Tochter – in ihren Augen, und nur in ihren, war er immer noch einHeld – versuchte hinzufahren, sooft sie konnte, aber sie ging jetzt aufs College und mußte Referate vorbereiten, Prüfungen ablegen, Demos verstärken, Protestaktionen organisieren, Tiere befreien. Sie schrieb aber jede Woche – lange, weitschweifige Briefe über die Gaia-Hypothese, Rock and Roll, die Bewahrung fossiler Brennstoffe und die hygienischen Angewohnheiten ihrer Mitbewohnerin. Gelegentlich nahm sie den Bus nach Vacaville, um ihn zu überraschen.
    (Beispiel einer Unterhaltung zwischen Tierwater und seiner Tochter, zwischen ihnen der Tisch, dazu das Gekreische und Gebrabbel von zwei Dutzend Stimmen und Fat Frank, der aufgeschwemmte Wärter, der über ihnen lauerte wie eine Lawine kurz vor dem Losbrechen.
    Sierra: Na ja, Hühner haben schließlich auch Rechte. Logisch. Das ist doch alles nur Artenchauvinismus, nichts anderes.
    Tierwater: Was ist alles nur Artenchauvinismus?
    Sierra: Daß wir sie als dumme Tiere sehen und glauben, wir dürften sie deshalb ihr ganzes Leben lang in Gefängnisse von der Größe eines Schuhkartons einsperren, mit einem – wie heißt das? –, einem Fließband darunter, das ihren Dreck wegbringt. Dasselbe haben sie vor hundertfünfzig Jahren auch über Afroamerikaner gesagt.
    Tierwater: Ich kann dir nicht recht folgen – du willst die Hühner befreien und die Afroamerikaner in die Pfanne hauen, oder was?
    Sierra: Dad!)
    Dann war da noch Sandman. Sandman – Geoffrey R. Sandman, wobei das R für gar nichts stand, aber einem Namen Extragewicht verlieh, der auf ungedeckten Schecks gut aussehen sollte – war Tierwaters Zellengenosse während der meisten Zeit der achtunddreißig Monate seiner Strafe, die er hier absitzen mußte. Sandman bewahrte ihm seine geistige Gesundheit (falls das die zutreffende Bezeichnung war, und eine Menge Leute stellten das durchaus in Frage) und auch seine körperliche Unversehrtheit. Sandman saß wegen bewaffneten Raubüberfalls – er hatte den Boten eines Geldtransporters ausgeschaltet, als er gerade die Tageseinnahmen aus einem Supermarkt abholte, dann den Mann am Lenkrad, der ausstieg, um seinem Kollegen beizustehen, in beide Beine geschossen und zur Krönung den gepanzerten Transporter geklaut, um der Polizei eine grandiose zweistündige Verfolgungsjagd auf dem Freeway 605 zu liefern – und hatte im Knast eine gewisse Machtposition inne. Er war groß, eins zweiundneunzig, eins dreiundneunzig, und er stemmte regelmäßig Gewichte. Tierwaters Ruf war ihm vorausgeeilt – die Sache mit Johnny Taradash, ein paar unbedeutendere, aber bezeichnende Vorfälle in Lompoc und die schiere Verrücktheit der nackten Aktion im Wald und seines Versuches, General Electric lahmzulegen –, und das verschaffte ihm zumindest anfänglich ein wenig Respekt im Zellenblock. Gemeinsam bildeten sie eine Zweierbande.
    Eines Abends saßen sie in ihrer Zelle, eine halbe Stunde vor dem Nachteinschluß, spielten Räuberschach zu fünf Dollar die Runde (Tierwater schuldete seinem Zellengefährten zu diesem Zeitpunkt um die dreihundertzwanzig Dollar) und rauchten gemeinsam die letzte Packung Camel (eine üble Unsitte, aber was sollte man im Gefängnis sonst tun?). Zu hören waren die üblichen Geräusche: Gebrabbel, Flüche, das Aushusten von Schleimklumpen, das immerwährende Ptui-ptui der in eine Faust oder einen Napf gespuckten Sonnenblumenkernen. Und es roch wie üblich: der Körpergestank von Tieren im Käfig, durchsetzt mit dem süßen Kirscharoma von Pfeifentabak, dem Duft nach Erdnüssen oder einer frisch aufgerissenen Tüte Kartoffelchips mit Salz-Essig-Geschmack. Aus dem Radio, das exakt an der Stelle

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