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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Leben.
    Als erstes nahm er sich die schweren Maschinen vor – die Bagger, einen Kran, zwei Kipplader. Das war gar nichts, das hatte er routinemäßig über ein dutzendmal getan: das Getriebegehäuse suchen, es bis zum Anschlag mit Siliziumkarbid anfüllen, dann weiter zum nächsten nach Diesel stinkenden Ungetüm. Er hatte abgewartet, bis der Mond unterging, um ohne Furcht vor Entdeckung arbeiten zu können; die Umrisse besaßen zwar wenig Schärfe, aber er war mit hervorragender Nachtsicht gesegnet, und selbstverständlich nahm er jeden Morgen seinen Multivitamin-Cocktail und dazu eine Aufbautabelette mit Beta-Carotin. Die vertrauten Nachtgeräusche entfalteten sich rings um ihn: das ferne Brausen der Schnellstraßen, Grillen und Laubfrösche, ein Coyotenpaar, das einen heimlichen Triumph verkündete. Er war entspannt. Fühlte sich gut.
    An diesem Punkt hätte er seine Aufgabe als erledigt betrachten und wieder ins Bett gehen können. Doch das tat er nicht. Er wollte etwas Großes tun, ein bedeutendes Statement abgeben, das alle Männer und Frauen im Valley aufhorchen ließ, es in die Zeitungen schaffte und den harten Kern von Earth Forever! beeindruckte – diejenigen, die keine Angst hatten, sich die Hände schmutzig zu machen. Im Rücksack hatte er den Schweißbrenner und eine Aluflasche mit Sauerstoff. Es war ein ordentliches Werkzeug, das Stahl zertrennen konnte wie ein Zauberstab, mit diesem Brenner brauchte man nur kurz über eine Eisenbahnschiene oder die Schaufelarme eines Bulldozers zu fahren, und in weniger als einer Minute war man durch. Die Handhabung des Dings hatte Tierwater von einem E.F.!ler in Oregon namens Teddy Scruggs gelernt, einem fünfundzwanzigjährigen Schweißer mit müdem Blick, schlechter Haut und langem strähnigem Haar, das fettig genug war, um Motoren damit zu schmieren – Schluß mit den Albernheiten wie diesem Tanz um die Zementsäcke in Siskiyou Forest, nicht mehr mit Tierwater. Er war jetzt ein Profi, ein Veteran, und darauf war er mächtig stolz.
    Die Elektrizitätsgesellschaft hatte hier einen Hügel halb abgetragen, der Kahlschlag erstreckte sich bis in die Berge, so weit das Auge reichte. Und sie hatten reihenweise Stahltürme aufgestellt, zwischen denen Hochspannungsleitungen hingen und die hintereinander den Hang hinaufmarschierten und in der blauen Ferne verschwanden – auf der anderen Seite würden sie bald bis tief ins Valley hinabreichen. Er hatte kurz überlegt, ob er warten sollte, bis das Projekt fertiggebaut wäre und die Leitungen schon Strom führten, aber die Masten zu stürzen, wenn in ihnen Gott weiß wie viele Megavolts flossen, war etwas zu riskant. Nicht daß er vorhatte, die Stahlträger völlig zu durchtrennen – nein, er würde sie nur schwächen, das Metall direkt an der Basis annagen, wo es in den Betonsockeln verschwand. Dann würde er nach Hause gehen und warten, bis Wind aufkam – morgen zum Beispiel sollten laut Wetterbericht die Santa-Ana-Stürme in den Bergen und auf den Pässen bis zu Stärke neun erreichen. Etwa um die Zeit, wenn sie sich fragen würden, was mit den Maschinen los war, würden die Masten umkippen, einer nach dem anderen, klapp-klapp-klapp, wie eine Reihe Dominosteine.
    Und was würde das bringen? Er konnte Andrea schon hören, und Teo – obwohl ihm Teo widerwillig Bewunderung zollen würde. O ja, und die übrigen Sesselrevolutionäre auch. Denn die Antwort lautete: eine ganze Menge. Es ging schließlich darum, die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen – wenn die Leute nur wüßten, daß sie sich selbst die Schlinge um den Hals legten, Tag für Tag, Kilowattstunde für Kilowattstunde, dann würden sie sich wie ein Mann erheben und dem Spuk ein Ende setzen. Und damit sie es wußten, damit sie kapierten, wofür die Umweltschutzbewegung überhaupt stand, hatte Tierwater einen zehnseitigen Leserbrief an die Los Angeles Times verfaßt, getippt auf einer gebrauchten Schreibmaschine, die er bei einem Trödler in Bakersfield bar gekauft und danach in einem Müllcontainer in Santa Monica entsorgt hatte, und dieser Brief war sein Testament, sein Manifest, ein Ruf zu den Waffen, gerichtet an alle zweifelnden und entfremdeten Seelen dort draußen. Unterzeichnet hatte er ihn, nach längerem Überlegen, mit The California Phantom .
    Es war ein guter Plan. Nur gab es beim Schweißbrenner, abgesehen vom offenkundigen Nachteil seiner Unhandlichkeit und der schweren Tanks, das Problem der Sichtbarkeit. In einer trüben, schwarzen,

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