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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Jobs. Und Tierwater mittlerweile auch nicht mehr. Teo und Andrea lebten von E.F.!-Beiträgen, also dem Geld, das sie auf Spendenaktionen wie der in Croton sammelten, und letzten Endes von Tierwater. Tierwater wiederum lebte von seinem toten Vater. Quasi eine Art Nahrungskette. »Ja, ich weiß«, sagte er, und seine Stimme drang aus einem Sumpf von Elend und Depression hervor, »aber es macht mich fertig. Es ist, wie wenn man als Kind zum Psychiater muß – bist du je beim Psychiater gewesen?«
    Sie saß neben ihm auf der Couch. Telefone klingelten, Menschen gingen in einem fort von Zimmer zu Zimmer, schwitzend und verschwörerisch. Sie runzelte nur die Stirn, ohne zu antworten.
    »Bloß weil man weiß, was das Problem ist, bloß weil man es in Worten ausdrücken kann, heißt das noch lange nicht, daß sich irgendwas dagegen tun läßt. Ich fühle mich impotent. Kastriert. Verarscht. Ich krieg bald einen Nervenzusammenbruch. Ich meine, ich hab schon früher Trauer erlebt – verdammt, ich hab getrauert –, aber das hier ist anders. Es ist ja niemand tot.« Das Sprechen strengte ihn so an, daß er Kopfschmerzen bekam. Er war in einer Druckkammer, genauso fühlte es sich an, und irgend jemand hatte den Druck heruntergedreht, so daß er ihn in jeder Pore spürte. »Außer vielleicht ich selbst.«
    Sie legte sich neben ihn, die Kurven und Höhlungen ihres Körpers suchten die seinen, sie wollte ihn festhalten und bemuttern, aber es half nichts. Einerseits war es im Haus noch ein paar Grad heißer als draußen. Dazu das ständige Klingeln des Telefons, eine enorme Ablenkung, und die geflüsterten Unterhaltungen. Außerdem war da noch die Frage, mit der er bisher nicht zu Rande gekommen war: sein Groll. Wie konnte er sich von ihr trösten lassen, wenn sie diejenige war, die ihn in die Sache hineingezogen hatte, wenn sie die Schuld an seinem Zustand trug? »Hör zu«, jetzt flüsterte auch sie, ihr Atem war säuerlich, sie roch in den Achseln, und der Schweiß rann ihr die Schläfen hinab, noch eine weitere Last, die ihn erdrückte, »Fred sagt...«
    Das war der Moment, als seine Wut wie ein Blutpfropf aufplatzte, als das Faß überlief: auf einmal lag Andrea auf dem Boden, und Tierwater schoß in einer einzigen schlangenartigen Bewegung von der Couch hoch. Er brüllte. Baute sich über ihr auf und brüllte. »Scheiß doch auf Fred!« brüllte er. »Scheiß auf ihn! Und auf dich auch!«
    Und dann kam der Brief. Er steckte in einem schmutzigen Kuvert, Einladungskartengröße, und er war weder von seiner früheren Sekretärin, seinem Makler in New York noch vom Gericht oder vom Jugendamt in Josephine County, Oregon. Die Handschrift – ein chaotisches Gemisch aus Blockbuchstaben und einer undisziplinierten, flattrigen Schreibschrift – holte ihn aus seinem Stupor. Mit bebenden Fingern riß er den Umschlag auf – riß den Brief darin aus Versehen gleich in zwei sich ringelnde Streifen – und erkannte Sierras hastig hingeschriebenes Gekrakel auf der Rückseite einer Schnellimbiß-Serviette. Dad , las er, die haben mich zu irgendeinem Farmer gebracht in der Nähe von Titansville oder so ähnlich du mußt mich hier rausholen sonst sterbe ich Sierra .
    »Ich werde nichts Voreiliges unternehmen«, sagte er zu Andrea, die in der Küche zwischen freiwilligen Mitarbeitern stand. Der Wind knallte Zweige gegen die Fenster, der Kopierer auf dem Tisch spuckte am laufenden Band Flugblätter aus, Teo hing in der Ecke am Telefon und rieb die unzeitgemäßen Stoppeln auf seinem Sportlerkopf, als könnte er um so mehr Geld aus der Leitung beschwören, je fester er rieb. Es war zwei Uhr nachmittags. Er ließ sich den Brief – vielmehr die Serviette, die von seinem Schweiß feucht war – nicht abnehmen, aber er breitete ihn auf der Handfläche aus, damit sie ihn lesen konnte.
    Er beobachtete ihre Miene.
    »Ich meine«, hier sprach er leiser, »ich werde sie nicht kidnappen oder so was. Ich will sie nur sehen, sonst nichts – nur ganz kurz. Ihr etwas Geld geben. Sie beruhigen...«
    »Nein, Ty. Kommt nicht in Frage. Auf keinen Fall.«
    »Sie hat Angst, kapierst du nicht? Kannst du dir das überhaupt vorstellen? Sie begreift nicht, was vorgeht. Vielleicht denkt sie, wir hätten sie im Stich gelassen, das kann gut sein. Ich will meine Tochter zurück. Sie fehlt mir. Ich kann nicht mal mehr schlafen, verdammt noch mal!«
    »Vergiß es, Ty. Nein.«
    »Weißt du was, Andrea«, und nun hörten sie alle zu, die drei Studenten vom Pierce College in

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