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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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vulgären Farben verzichten, die die edlen Gesichter jüdischer Frauen besudelt hätten, verkaufte diesen Teil des Geschäfts an seinen Bruder und stellte nun nur noch koscheres Shampoo und Seife her, außerdem koscheres Aspirin und andere Medikamente. Vermutlich gab es auf der Welt genügend Menschen, die diese Idee nicht für reine Scharlatanerie hielten.
    Ljowa empfing Irina auf der Schwelle seines Büros. Sie hatten sich beide sehr verändert, aber diese Veränderungen hatten nichts mit dem Lauf der Zeit zu tun, sondern eher mit ihrem neuen Lebensstil. Ljowa hatte zugenommen und wirkte kleiner durch den breiten Rücken und den ausladenden Hintern; sein Gesicht hatte den rosigweißen Teint eingebüßt, der an den jungen König David erinnerte, und eine irgendwie düstere Färbung angenommen. Irina dagegen, die während ihrer Ehe in löchrigen baumwollenen T-Shirts und bodenlangen indischen Röcken rumgelaufen war, verblüffte ihn nun mit ihrer perfekten, wie einer Modezeitschrift entsprungenen Makellosigkeit, der strengen Eleganz von Augenbrauen und Nase, ihrem festen Kinn und ihren weichen Lippen.
    Eine Perle, eine echte Perle, dachte Ljowa, und dann sprach er es aus.
    Irina lachte so unbeschwert wie früher.
    »Ich freue mich, daß ich dir gefalle, Ljowa. Du hast dich sehr verändert, aber gar nicht mal so übel, bist ein richtig solider, kapitaler Herr.«
    »Und fünf Kinder, Irotschka, fünf.« Er nahm ein kleines Fotoalbum aus der Schreibtischschublade. »Und wie geht’s Majka?« fragte er ein bißchen spät.
    »Gut. Ein erwachsenes Mädchen.«
    Sie sah sich das Album aufmerksam an, nickte und legte es auf den Tisch.
    »Weswegen ich hier bin: Ein alter Freund von mir, Jude, ich kenn ihn noch aus Moskau, der ist schwer krank. Er stirbt. Er möchte mit einem Rabbi sprechen. Kannst du das organisieren?«
    »Und das ist dein ganzes Problem?« Ljowa war ungeheuer erleichtert, hatte er doch vermutet, Irina wolle finanzielle Forderungen an ihn stellen, wegen der fünftausend Dollar, immerhin waren sie ja damals verheiratet gewesen. Er war ein redlicher Mensch, aber er hatte Familie, und überhaupt rückte er ungern einfach so etwas heraus.
    »Für dich, da würd ich zehn auftreiben.« Er merkte, daß er etwas Dummes gesagt hatte, und war verlegen, aber Irina hatte es gar nicht verstanden oder nicht darauf geachtet.
    »Aber es ist eilig, brandeilig, es geht ihm sehr schlecht«, mahnte sie.
    Ljowa versprach, noch heute abend anzurufen.
    Er rief tatsächlich am Abend an und sagte, er könne einen wunderbaren Rabbiner mitbringen, aus Israel, der gerade eine hochgelehrte Vorlesungsreihe an der New Yorker Jeschiwa hielt. Ljowa hatte schon mit ihm verabredet, daß sie beide gleich nach dem Sabbat vorbeikommen würden.
    Bemerkenswerterweise war Irina, die nie etwas vergaß und sogar die Telefonnummern ihrer Moskauer Freundinnen noch wußte, total entfallen, daß der jüdische Sabbat am Sonnabendabend endet, und sie verkündete Nina, der Rabbiner werde Sonntag früh kommen.
    Der orthodoxe Priester, Vater Viktor, wollte am Sonnabend nach der Abendmesse kommen. Nina hielt es für sehr bedeutungsvoll, daß er als erster kommen würde.

6
    F ima ging noch spät am Abend zu Berman, ohne vorher anzurufen; diese Zwanglosigkeit war zwischen ihnen üblich. Sie kannten sich schon sehr lange, waren sogar miteinander verwandt. Zwar nur über mehrere Ecken, über einen Großvater, aber das spielte keine Rolle. Wichtig war etwas anderes: Sie waren beide Ärzte, und zwar im Sinne, wie manche Menschen eben von Geburt blond sind oder Sänger oder Feiglinge, also nach dem Willen der Natur. Sie hatten ein Gespür für den menschlichen Körper, für das Pulsieren des Blutes; eine besondere Art zu denken.
    »Systematisch«, nannte es Berman.
    Sie vermochten beide zu erkennen, welche Eigenschaften in Verbindung mit einem bestimmten Stoffwechseltyp zu Bluthochdruck führen konnten, wo Magengeschwüre zu erwarten waren, Asthma oder Krebs. Bevor sie mit einer medizinischen Untersuchung begannen, stellten sie fest, daß die Haut trocken war, die Augäpfel leicht getrübt oder die Mundwinkel entzündet waren.
    Im übrigen hatten sie in den letzten Jahren kaum jemanden untersucht, höchstens, wenn sie mal von Bekannten darum gebeten wurden.
    Anders als Fima hatte Berman, als er nach Amerika übergesiedelt war, alle erforderlichen Prüfungen innerhalb von zwei Monaten abgelegt, sein russisches Diplom bestätigt und zugleich einen lokalen Rekord

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