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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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nämlich leid, der einzige Versager in der Familie zu sein.«
    »Ich liebe Jeff«, verkündete Meredith und fühlte sich gleichzeitig elend und euphorisch.
    »Natürlich«, sagte die Mutter.
    Meredith wandte sich zu ihnen. »Und wenn es zu spät ist?«
    Ihre Mutter lächelte. Meredith verschlug es fast die Sprache, wie sehr sich das Gesicht veränderte, das sie Jahrzehnte studiert hatte. »Ich bin einundachtzig und erzähle meinen Töchtern meine Lebensgeschichte. Jedes Jahr dachte ich, es wäre zu spät, damit anzufangen. Ich dachte, ich hätte zu lange gewartet. Aber Nina hier hat kein Nein akzeptiert.«
    » Endlich. Es zahlt sich doch aus, ein selbstsüchtiges Miststück zu sein.« Nina griff in ihre Fototasche, holte ein sperriges Handy hervor und klappte es auf. »Ruf ihn an.«
    »Ach. Wir amüsieren uns doch so gut. Das kann warten.«
    »Nein«, widersprach die Mutter. »Man sollte niemals warten.«
    »Und wenn –«
    Die Mutter legte ihr die Hand auf den Arm. »Sieh mich an, Meredith. Ich bin das Ergebnis meiner Angst. Möchtest du so enden wie ich?«
    Langsam streckte Meredith die Hand aus und nahm ihrer Mutter die Sonnenbrille ab. Sie starrte in die blauen Augen, die sie immer fasziniert hatten. Meredith lächelte. »Weißt du was, Mom? Ich bin stolz, deine Stärke geerbt zu haben. Was du durchgemacht hast – und ich glaube, das Schlimmste haben wir noch nicht gehört –, hätte jede normale Frau umgebracht. Nur jemand Besonderes konnte das überleben. Also denke ich schon, dass ich so enden möchte wie du.«
    Die Mutter schluckte hart.
    »Aber ich möchte keine Angst haben, da hast du recht. Also her mit dem verdammten Handy, Neener Beaner. Ich muss einen längst fälligen Anruf hinter mich bringen.«
    »Wir sehen uns an Bord«, sagte Nina.
    »Wo?«
    Jetzt lachte ihre Mom tatsächlich. »In der Bar natürlich. Der mit dem Panoramafenster.«
    Meredith sah zu, wie ihre Schwester und ihre Mutter sich von ihr entfernten. Obwohl eine leichte Brise ging und eine Muschelglocke am Dachfirst neben ihr anschlagen ließ, und obwohl irgendwo ein Schiffshorn tutete, hörte sie nur das Echo vom Lachen ihrer Mutter. Dies würde sie nie mehr vergessen, und sie würde sich jedes Mal daran erinnern, wenn sie nicht mehr an Wunder glauben mochte.
    Sie überquerte die Straße und hielt dabei den Verkehr mit einer ausgestreckten Hand und einem Lächeln auf. Sie ging an der Familie vorbei, die immer noch für Fotos posierte, und blieb vor einer Holzbank stehen, auf der stand: In Erinnerung an Myrna, die diesen Ausblick liebte.
    Sie setzte sich auf Myrnas Bank und starrte auf die Fischer- und Ruderboote im unter ihr liegenden Hafen. Masten schwankten im Takt der Wellen. Möwen kreisten kreischend über Touristen und schossen zu Boden, wenn es Pommes frites zu stibitzen gab.
    Meredith blickte auf ihre Uhr, überlegte, was Jeff wohl gerade machte, und wählte seine Nummer.
    Es läutete so oft, dass sie fast aufgegeben hätte.
    Als er sich schließlich meldete, klang er außer Atem. »Hallo?«
    »Jeff?«, fragte sie und spürte, wie ihr die Tränen kamen. Sie bemühte sich, sie zurückzudrängen. »Ich bin’s.«
    »Meredith …«
    Es schwang etwas in seiner Stimme mit, das sie nicht bestimmen konnte. Das störte sie, denn früher hatte sie jede Nuance erkannt. »Ich bin in Sitka«, sagte sie, um Zeit zu gewinnen.
    »Ist es so schön, wie immer behauptet wird?«
    »Nein«, sagte sie entschieden. Sie würde keine Angst mehr haben und auch keine Zeit mehr mit nichtssagendem Gerede verschwenden, das sie erst in diese Lage gebracht hatte. »Ich meine, doch, ja, es ist wunderschön hier, aber darüber möchte ich jetzt nicht reden. Ich will auch nicht über unsere Töchter oder unsere Arbeit oder über Mom reden. Ich wollte mich entschuldigen, Jeff. Du hast mich gefragt, ob ich dich noch liebe, und ich hab dicht gemacht. Warum, weiß ich immer noch nicht. Aber das war falsch und dumm. Ich liebe dich. Ich liebe dich, ich vermisse dich, und ich hoffe inständig, dass es noch nicht zu spät ist, weil ich mit dem Mann alt werden will, mit dem ich auch jung war. Mit dir.« Sie holte scharf Luft. Sie fühlte sich, als hätte sie endlos geredet, als wäre alles aus ihr herausgeplatzt. Jetzt war er an der Reihe. Hatte sie ihn zu sehr verletzt? Hatte sie zu lange gewartet? Als sein Schweigen anhielt – sie hörte eine Sprungfeder quietschen, als er sich setzte, und ihn dann seufzen –, bat sie: »Sag doch was.«
    »Dezember

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