Ein gefaehrlicher Liebhaber
Vorstellung, ein Leben nach der Uhr zu richten, war ihnen völlig fremd. Man passte sich entweder an, oder man wurde verrückt. Mal sehen, für welche Möglichkeit sich Mr Lewis entschieden hatte.
»Er ist der Typ, der gern den Ton angibt«, erklärte Rick.
»Wenn nur die Hälfte von dem, was wir gehört haben, stimmt, dann macht der Kerl nur das, wozu er Lust hat.«
Es war offensichtlich, dass Rick von diesem Lewis mächtig beeindruckt war. Aber der Geschmack ihres Bruders entsprach dem eines Halbwüchsigen, also hob sie sich ihr eigenes Urteil auf. Rick ließ sich von jedem angeberischen Macho beeindrucken, denn nur so einer war in seinen Augen ein richtiger Mann. Ihre Achtung vor diesem Führer sank beständig.
Auf Ricks Anweisung war sie um halb sieben startbereit. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er wünschte, sie wäre so eine Art blonde Sexbombe, die bereit wäre, diesen Kerl, von dem er so hingerissen war, notfalls mit vollem »Körpereinsatz« zu beeindrucken. Aber selbst wenn sie bereit gewesen wäre, sich die Haare wasserstoffblond zu färben, fehlte ihr die nötige Grundausstattung zur Sexbombe. Eine Voraussetzung war eine üppige Oberweite, und damit konnte Jillian beim besten Willen nicht dienen. Worüber sie geradezu dankbar war. Denn sie war der Meinung, dass es äußerst mühsam wäre, solche Gewichte mit sich rumzuschleppen, bloß damit irgendwelche Trottel ins Sabbern kamen.
Sie fand sich ganz in Ordnung, so, wie sie war: schlank und hübsch, aber keine umwerfende Schönheit. Wenn man sie gefragt hätte, was ihr an ihr selbst am besten gefiele, dann hätte sie geantwortet, ihr scharfer Verstand.
Als Zugeständnis an die Hitze hatte sie ein Trägerkleid angezogen; tatsächlich das einzige Kleid, das sie dabeihatte. Bis auf den Rock und die Bluse, die sie auf dem Flug angehabt hatte, hatte sie nur robuste Hosen, Hemden und Boots dabei.
Unterwegs im Taxi mit Rick und Kates fiel Jillian wieder auf, dass Manaus eine herrliche Stadt war. Sie wünschte, sie hätte tatsächlich Zeit, sie ein bisschen näher kennenzulernen.
Aber sie war daran gewöhnt, nie genug Zeit zu haben, sich die Städte dieser Welt anzuschauen; ihre Welt war die Welt der Vergangenheit - tote Städte, Begräbnisplätze. Sie wollte herausfinden, wie die Leute damals gelebt hatten und wie es zur heutigen Entwicklung der Menschheit gekommen war. Die Archäologie suchte die Wege zu finden, die die Menschheit beschritten hatte, um dahin zu kommen, wo sie heute war. Und sie wollte wissen, wie sich der Mensch über die Jahrtausende verändert hatte. Diese Rätsel zu lösen, wurde sie nie müde.
Die Bar, die sie nun mit Rick und Kates betrat, war nicht gerade das schönste Lokal, das sie je erlebt hatte, aber auch nicht das schlimmste. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, nicht einmal von den Männern, die sich vereint nach ihr umdrehten und sie mit lüsternen Blicken musterten. Allein hätte sie die Bar nicht gerne betreten. Der mit leisem Stimmengewirr erfüllte Raum war zwar düster, aber zumindest herrlich kühl. An der Decke hingen zwei große, sich träge drehende Ventilatoren, die die Geruchsmischung aus Alkohol, Tabak und Männerschweiß gleichmäßig verteilten.
Flankiert von Rick und Kates strebten sie zu einem Tisch an der Wand, an dem ein einzelner Mann scheinbar im Halbschlaf lümmelte, eine Flasche Whiskey vor sich auf dem Tisch. Doch seine Haltung täuschte. Unter seinen halb geschlossenen Lidern bemerkte sie eine wache Intensität. Als sie näher kamen, stieß er mit dem Fuß einen Stuhl heraus und maß Jillian mit einem Blick, der ungefähr so vergleichbar mit den Blicken der Männer an der Bar war wie ein Hai mit einer Forelle. Die Männer an der Bar spekulierten wenigstens nur von ferne und behielten ihre Pfoten bei sich. Dieser Mann jedoch hatte sie in seiner Vorstellung bereits ausgezogen, ge-spreizt und penetriert. Und es war ihm egal, ob sie es wusste oder nicht.
»Aber hallo«, krächzte er gedehnt, »wen haben wir denn da? Setz dich her zu mir, Kleine, falls du noch nicht vergeben bist.« Er nickte in Richtung des Stuhls, den er soeben rausgekickt hatte.
Jetzt, aus der Nähe, konnte Jillian sehen, dass seine Augen entweder blau oder grün waren; schwer zu sagen in diesem Halbdunkel. Seine Haut war tief gebräunt, doch seine Kinnpartie machte den samtigen Eindruck eines frisch Rasierten. Er hatte dunkle, ein wenig zu lange Haare, die sich im Nacken über seinen Hemdkragen ringelten und
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