Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Verfügung. Maxime und Georges wählen die zwei geräumigsten für sich und ihre Ehefrauen, Louise und Simon sollen jeweils eines der beiden anderen bekommen.
Alles ist ihnen so einfach vorgekommen, sie können die Risiken, die sie eingegangen sind, nicht richtig einschätzen. Auf Anraten von Thérèse nimmt Maxime Kontakt zur Schule des Städtchens auf und bietet seine Hilfe beim Sportunterricht an. Georges kann bei der Gartenarbeit helfen und das Angeln wiederaufnehmen, um Thérèse frische Flußfische zu liefern und so für Abwechslung im Einerlei der Küche zu sorgen.
Thérèse ist die Grundschullehrerin des Städtchens und hat die Fünfzig bereits überschritten. Sie lebt im Schatten ihres Vaters, des einzigen Mannes in ihrem Leben. Sie führt den Haushalt mit unumschränkter Macht und wacht wie eine unbeugsame Gouvernante darüber, daß der Oberst seine Diät einhält. Anfangs mißtraut die alleinstehende Frau Maxime, dann aber erliegt sie seinem verführerischen Charme und zeigt es ihm mit tausenderlei kleinen Aufmerksamkeiten. Wenn er draußen auf dem Rasen mit freiem Oberkörper seine Morgengymnastik macht, steht sie am Fenster und sieht ihm zu. Bis ins Innerste aufgewühlt, vertraut sie ihre Gefühle dem Tagebuch an.
Hannah kümmert sich mit Josephs Hilfe um den Laden in der Rue du Bourg-l’Abbé. Auch Esther leistet ihr Beistand. Und Louise, deren Kundenkreis kleiner geworden ist, geht ihnen in den Stoßzeiten zur Hand. Sie behandelt nur noch ihre treuesten Stammkunden und möchte lieber nicht wissen, warum die anderen ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen. Die drei Frauen unterstützen sich gegenseitig, sie vertrauen einander, essen gemeinsam zu Abend. Sie haben einen ersten Brief der Männer erhalten, die Saint-Gaultier in den höchsten Tönen loben und versprechen, bald wieder zu schreiben und ihnen grünes Licht zu geben. Simon ist der kleine Herrscher dieser Gemeinschaft, er klammert sich an seine Mutter, die nur noch ihn hat. Hannah fühlt sich in der Wohnung in der Avenue Gambetta so allein, daß sie es nicht über sich bringt, ihrem Sohn ihr großes verlassenes Bett zu verweigern. Den Kopf auf Maximes Kopfkissen, seinen Plüschhund fest an die Brust gedrückt, nimmt er den Platz seines Vaters ein: Jeden Abend wird der kleine Mann wieder zu einem ängstlichen Kind, das sich vor den Schatten in seinem Zimmer fürchtet. Hannah sieht ihm beim Einschlafen zu. Bewegt von seinem eifrigen Bemühen, Schlaf zu finden, erkennt sie in den zusammengekniffenen Augen, den geballten Fäusten Maxime wieder. Dieser Mann bedeutet ihr alles im Leben, dessen ist sie sich so gewiß wie noch nie. In einigen Tagen wird sie sich wieder an ihn schmiegen, ihre Nächte wieder mit ihm teilen können.
Sie, die so vertrauensselig ist, ihre Zuneigunggroßzügig verteilt, fühlt sich schuldig, weil sie die Gegenwart ihrer Schwägerin als Bedrohung empfindet. Seit jenem Nachmittag im Stadion ist ihr Herz ständig in Alarmbereitschaft. Sie bewundert Tania, doch diese unbändige Kraft, diese ungezügelte Schönheit stellen wirklich eine Gefahr für sie dar, und sie kann nicht umhin, sich über Tanias Abreise nach Lyon zu freuen. Oft denkt sie an Robert, und täglich befürchtet sie, eine schlechte Nachricht zu bekommen. Wenn ihr Bruder doch nur zurückkehren und Tania wieder ein Zuhause bei ihm finden würde! Sie ist stolz, daß es ihr gelingt, den Laden ohne die Hilfe ihres Mannes am Laufen zu halten, und für Simon nimmt sie glücklich alle Entbehrungen auf sich, sie behütet ihn mit all ihrer Liebe. Maxime wird ihr sicher dankbar sein.
Arme Hannah. Dieser Satz ging mir durch den Kopf, als ich später ihre Fotos entdeckte und gerührt war von ihren runden Formen und dem klaren Blick, den sie auf Maxime richtete, in den Augen den Schimmer absoluten Vertrauens. Diese Augen, über die sich bald ein Schleier legen würde, dieses Lächeln, über dem bald das Feuer des Himmels niedergehen sollte. Bis der zweite Brief eintraf, konnte sie in dem Glauben leben, mit der Abreise in den anderen Teil Frankreichs würde sie ihr Glück wiederfinden. Doch die Mauern, auf die sie sich jeden Tag stützte, da sie so wenig Selbstsicherheit hatte, stürzten eine nach der anderen ein.
Die Operation war geheimgehalten worden: Seit dem frühen Morgen ist das gesamte elfte Arrondissement abgeriegelt, am Ausgang jeder Metrostation stehenPolizisten bereit. Man klopft an Türen, man überrascht die Familien im Schlaf, man läßt ihnen kaum Zeit,
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