Ein Gentleman wagt - und gewinnt
Vornamen anreden?” In ihren Augen lag ein so bittender, hoffnungsvoller Ausdruck, dass Abbie ohne Zögern nickte. “Oh, vielen Dank!”, fuhr das Mädchen hastig fort. “Wenn Sie es nicht gestattet hätten, würde es mir sehr schwer fallen, meinen Wunsch zu äußern.”
Allmählich empfand Abbie ein leichtes Unbehagen. “Kitty – wenn Sie ein ernsthaftes Problem haben, wäre es da nicht vielleicht besser, Sie würden sich Ihrer Mutter oder Ihrem Bruder anvertrauen?”
“Um Himmels willen, nein!” Allein der Gedanke schien der jungen Dame kaltes Entsetzen einzujagen. “In fast allen Belangen verlässt Mama sich auf Bartons Urteil. Und da meine Sorge
ihn
betrifft, kann ich ihm wohl kaum davon erzählen, nicht wahr?”
Das musste Abigail wohl oder übel bestätigen. Gleichwohl war sie zu weiteren Zugeständnissen nicht bereit, bevor sie nicht genauere Informationen erhielt.
Lange blieb sie nicht im Ungewissen. Kitty holte tief Atem. “Helfen Sie mir, Barton zu verheiraten.”
Abbie traute ihren Ohren nicht. “Wie bitte?”
Offenbar schwang in ihrer Frage ein Unterton mit, der Kitty auf den drohenden Verlust einer wertvollen Verbündeten hinwies. Ihre Miene änderte sich dramatisch, der erwartungsvolle Eifer wich schmerzlicher Verzweiflung. “Sie werden mir doch helfen, Abbie?”
“Ganz sicher
nicht.”
Ungerührt hielt Abigail dem beschwörenden Blick ihrer neuen Freundin stand. “Niemals würde ich eine Geschlechtsgenossin Ihrem Bruder ausliefern.” Im nächsten Moment hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Oh Gott, warum war ihr das herausgerutscht?
“Hegen Sie eine Abneigung gegen Barton?”, fragte Kitty prompt.
“Nein, natürlich nicht …” Zu ihrem Leidwesen klang ihre hastige Antwort nicht besonders überzeugend, und so fügte Abbie hinzu: “Aber wir sind keine engen Freunde.”
“Obwohl Sie ihn schon seit Jahren kennen? Barton schätzt Sie sehr, das weiß ich.”
Diese Enthüllung schockierte Abbie, indes fasste sie sich sofort wieder. “Wie auch immer, er würde es gewiss missbilligen, wenn ich mich in eine derart heikle private Angelegenheit einmische. Außerdem ist er durchaus fähig, selber auf Brautschau zu gehen.”
“Das tut er bereits”, verkündete Kitty zu ihrem Erstaunen. “Zumindest ist er bis über beide Ohren verknallt.”
“Dann begreife ich nicht, warum Sie meine Hilfe brauchen”, entgegnete Abigail, ein wenig irritiert von der taktlosen Wortwahl des Mädchens.
“Weil er der jungen Dame endlich einen Antrag machen soll. Wir bleiben nur bis Mitte Juli hier. Danach dürfte es eine Weile dauern, bis er sie wiedersieht. Und in der Zwischenzeit könnte alles Mögliche passieren. Vielleicht lernt sie jemand anderen kennen.”
“Sind Sie sicher, dass sie Bartons Gefühle erwidert? Übrigens, wer ist die Unglückli… Ich meine, wer ist die Frau, die das Wohlgefallen Ihres Bruders erregt hat?”
Eine Zeit lang musterte Kitty die Spitzen ihrer Slipper, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt. Als sie den Kopf hob, wirkte ihre Miene einfältig und beinahe ein wenig verlegen. Dann jedoch leuchteten ihre Augen auf, als sei ihr soeben eine brillante Idee gekommen. “Ah, da ist sie … Sehen Sie doch, Barton eilt ihr entgegen!”
Abbie schaute über die Schulter und beobachtete, wie Cavanagh sich über die Hand einer elegant gekleideten jungen Frau beugte. Sie wandte sich wieder zu Kitty um. “Wurde ich mit der Dame bekannt gemacht? Gestern Abend auf der Gesellschaft?”
“Ja, wahrscheinlich – sie war dort. Sie heißt Caroline Whitham, und der Gentleman, der sie begleitet, ist ihr Bruder Stephen. Wenn sie bloß nicht so schrecklich schüchtern wäre! Ich wette, in diesem Moment errötet sie bis unter die Haarwurzeln. Armes Ding …” Kitty warf Abbie einen flehentlichen Blick zu. “Bitte, helfen Sie mir! Treffen wir uns heute Nachmittag in den Sydney Gardens. Da werden wir in aller Ruhe überlegen, wie wir die beiden zusammenbringen können. Sicher fällt uns etwas ein. Ich glaube, Miss Whitham erwähnte, dass sie täglich im Park spazieren geht, wenn es das Wetter erlaubt. Sobald wir einen Plan geschmiedet haben, reden wir mit ihr.” Als sie keine Antwort erhielt, fuhr sie unbeirrt fort: “Oh, Sie ahnen nicht, wie es ist, einen Bruder ertragen zu müssen, der immer alles besser weiß. Ich liebe ihn von ganzem Herzen. Aber er benimmt sich wirklich zu anmaßend. Dauernd schimpft er und macht mir Vorschriften. Wenn er heiratet, wird
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