Ein Gentleman wagt - und gewinnt
Eugenies plötzlich niedergeschlagen wirkende Miene indes sprach eine andere Sprache.
Er blieb ein paar Schritte zurück, ließ Mutter und Tochter vorausgehen und fragte sich nach dem Grund für seine Schroffheit. Gewiss, die Neigung seiner Stiefmutter, in den trivialsten Dingen seine Zustimmung zu erbitten, irritierte ihn. Doch wie er sich eingestehen musste, trug sein Verhalten in den letzten Jahren die Schuld daran.
Seiner eigenen Mutter hatte er sehr nahegestanden, und ihr Tod in seinem zwölften Lebensjahr war ein schwerer Schicksalsschlag gewesen. Er hatte lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Mit seinem Vater verstand er sich recht gut, bis dieser Eugenie, die älteste Tochter des Vikars, heiratete. Kittys Geburt, nur ein Jahr später, machte die Dinge nicht besser. Nun musste er die Zuneigung des Vaters mit zwei Eindringlingen teilen. Und deshalb verbrachte er die Schulferien zumeist bei seinem Patenonkel, der ihm die so schmerzlich vermisste Aufmerksamkeit schenkte.
Vor seinem Kriegsdienst, zu dem ihn der Colonel ermutigt hatte, war er ein eher selbstsüchtiger junger Mann gewesen, hauptsächlich an seinen Amüsements interessiert. Deshalb hatte er nach dem Studium in Cambridge den Großteil seiner Zeit in London verbracht, um sich in oberflächliche Vergnügungen zu stürzen. Erst bei der Armee war er verantwortungsbewusster geworden und hatte gelernt, Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen.
Bedrückt beobachtete er die ältere Frau, die vor ihm ging. Jetzt war es vermutlich zu spät, um eine engere Beziehung zu seiner Stiefmutter anzubahnen. Was das betraf, hatte sie im Lauf der Jahre wahrlich ihr Bestes getan und ein Verständnis für ihn gezeigt, das er nicht verdiente. Wenn er sie auch niemals lieben würde, sollte er wenigstens anerkennen, wie untadelig sie seinen Haushalt führte, und sie spüren lassen, dass ihre Anwesenheit unter seinem Dach kein Ärgernis für ihn war.
Sobald sie die Halle betreten hatten, versicherte er: “Ich freue mich auf unsere Soiree in der nächsten Woche, Eugenie. Da du eine ausgezeichnete Gastgeberin bist, wird der Abend zweifellos ein großer Erfolg.”
Beglückt über das unerwartete Lob, errötete seine Stiefmutter, und Kitty blinzelte erstaunt.
Barton zog sich in die Bibliothek zurück und begann seine Korrespondenz zu erledigen. Schon nach wenigen Minuten musste er diese Tätigkeit unterbrechen, weil seine Schwester eintrat.
Ausnahmsweise senkte sie schüchtern die Wimpern, als sie vor dem Schreibtisch stehen blieb. “Verzeih die Störung, Barton. Darf ich dich um einen Gefallen bitten?”
Ihre ungewohnte Scheu erregte umgehend seinen Argwohn. “Das darfst du jederzeit, Kitty.”
“Nun, ich dachte mir … Wenn du nicht anderweitig beschäftigt bist – würdest du mich nach dem Lunch auf einem Spaziergang begleiten?”
Wäre sie seinem Blick nicht ausgewichen, hätte er ihr Anliegen nicht verwunderlich gefunden. “Warum sehnst du dich plötzlich nach meiner Gesellschaft, kleine Hexe? Wieso willst du nicht mit deiner Mutter ausgehen?”
“Oh Barton, du weißt doch – Mama hält nichts von solchen Wanderungen. Nachmittags ruht sie sich am liebsten aus. Aber das Wetter ist einfach wunderbar. Wollen wir uns die Sydney Gardens ansehen? Da soll es sehr schön sein, das haben mir mehrere Leute erzählt. Und meine Zofe will ich nicht mitnehmen, weil sie so schrecklich trödelt.”
“Also gut”, gab er wider besseres Wissen nach. “Vorausgesetzt, du lässt mich bis dahin in Ruhe.”
Für diese Zustimmung wurde er mit einem schwesterlichen Kuss auf die Wange und einer unerwarteten Umarmung belohnt. Mit schmalen Augen sah Barton ihr nach, wie sie, sichtlich zufrieden mit sich selbst, aus der Bibliothek tänzelte. Ja, in der Tat, irgendetwas heckt sie aus, entschied er und bereute bereits, dass er versprochen hatte, ihren Wunsch zu erfüllen.
Von ähnlichen Bedenken erfüllt, betrat Abbie am Nachmittag den gut besuchten Park. Bisher war sie nie auf den Gedanken gekommen, eine Heirat Bartons mit einer anderen Frau könnte ihr Problem lösen. Andererseits ließ sie sich nur ungern in Kitty Cavanaghs Intrige hineinziehen. Doch sie wollte das Wort nicht brechen, das sie dem Mädchen gegeben hatte, und daher war sie in Begleitung einer Bediensteten ihrer Patentante zu den Sydney Gardens aufgebrochen.
Allzu gut kannte sie Barton nicht. Aber sie ging davon aus, dass er es keineswegs schätzte, wenn man sich in sein Privatleben einmischte.
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