Ein Gentleman wagt - und gewinnt
Mittagsschläfchen halte, Liebes.”
“Keine Bange, Kitty, sie will uns nur hänseln”, versicherte Barton, um dem Geplänkel ein Ende zu machen. “Aber wenn du ein Picknick organisieren möchtest, wäre es am besten, wenn du einen Vormittag wählen würdest. Nachmittags werden sich Lady Penrose und deine Mutter lieber ausruhen, und die beiden sollten uns Gesellschaft leisten. Obwohl Miss Graham kein Schulmädchen mehr ist, braucht sie eine Anstandsdame.”
Verblüfft starrte Abigail ihn an. Verschwendete ein so unmoralischer Mann tatsächlich einen Gedanken daran, was schicklich war und was nicht? Gegen ihren Willen erinnerte sie sich an die schändliche Episode, die sie im Pavillon ihres Großvaters beobachtet hatte. Und sie hoffte inständig, dass Barton die Röte, die an ihrem Hals emporkroch, dem warmen Sonnenschein zuschrieb.
Zum Glück bemerkte Kitty das Unbehagen ihrer neuen Freundin nicht. Plötzlich blieb sie stehen und stieß einen Freudenschrei aus. “Schau doch, Barton! Da drüben sitzen Stephen und seine Schwester! Soll ich sie zu unserem Picknick einladen?”
Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie davon. Teils ärgerlich, teils neidisch blieb Abbie zurück. Wie unangenehm, mit einem Gentleman allein zu sein, den sie nicht mochte – wenn auch nur für ein paar Minuten … Gleichzeitig musste sie Kittys schauspielerisches Talent bewundern. Zweifellos könnte das Mädchen auf der Bühne des Drury Lane Theatre triumphale Erfolge feiern. Niemand würde glauben, der Anblick der Whithams hätte sie
nicht
überrascht. Obwohl sie Abbie erst an diesem Morgen erklärt hatte, dass die Geschwister jeden Nachmittag im Park spazieren gingen …
“Fühlen Sie sich nicht verpflichtet, die dummen Streiche meiner unverbesserlichen Schwester zu unterstützen, Miss Graham. Es sei denn, es wäre Ihr Wunsch.”
Erschrocken betrachtete Abbie sein prägnantes Profil. Hatte er erraten, was Kitty plante? “Tut mir leid, Sir, ich verstehe nicht, was Sie meinen.”
“Das Picknick, Miss Graham. Bitte, fühlen Sie sich nicht gezwungen, daran teilzunehmen, wenn es Ihnen missfällt.”
Unwissentlich bot er ihr eine günstige Gelegenheit, sich aus der Affäre zu ziehen. Aber das wollte sie gar nicht, zu ihrer eignen Verblüffung. Bisher hatte sie nichts unternommen, um seiner Schwester beizustehen. Und daher konnte Barton ihr keine Schuld geben, wenn er herausfand, was Kitty beabsichtigte. Zudem wäre es erfreulich, in einer schönen Umgebung zu picknicken. Solche Amüsements waren ihr in den letzten Jahren nicht vergönnt gewesen. “Warum sollte ich eine Mahlzeit im Grünen nicht schätzen, Mr. Cavanagh? Ich finde die Idee Ihrer Schwester fabelhaft.”
Immer noch skeptisch, runzelte er die Stirn, dann lächelte er. “Oh, Sie ahnen gar nicht, wie ich mich freue, dass Sie das sagen, Miss Graham! Natürlich bedarf es der vereinten Mühe zweier gesetzter Persönlichkeiten in fortgeschrittenem Alter, um zu verhindern, dass dieses Picknick in Jux und Tollerei ausartet.”
“Oh, ich werde eines meiner kleidsamsten Spitzenhäubchen aufsetzen, damit ich diese Aufgabe erfolgreich erfüllen kann, Sir”, konterte sie belustigt.
“Wagen Sie es bloß nicht!”, erwiderte er leise, nur für ihre Ohren bestimmt, denn jetzt näherten sie sich der Bank, auf der seine Schwester neben Miss Whitham saß.
Vielleicht kam Kitty ihrem Ziel, die Schwägerin der schüchternen jungen Dame zu werden, einen Schritt näher. Die Whithams nahmen die Einladung zu dem Picknick entzückt an. In zwei Tagen sollte es stattfinden, an einem Ort, für den man sich später entscheiden würde.
“Macht es dir etwas aus, wenn Caroline und Stephen mich heimeskortieren, Barton?”, fragte Kitty. “Unser Haus liegt auf ihrem Weg, also hätten sie keine Unannehmlichkeiten. Dabei könnten wir besprechen, wo wir picknicken sollen. Da die beiden in Bath wohnen, kennen sie die schönsten Plätze.”
Sichtlich angetan, stimmten die Whithams dem Vorschlag zu, und daher erhob Barton keine Einwände. Abbie dagegen war keineswegs begeistert, denn nun würde Kittys Bruder sie ohne Anstandsperson zum Upper Camden Place bringen.
Nachdem sie ihr Ziel erreicht hatten, musste sie ihre Meinung über ihren Begleiter revidieren. Natürlich würde sie seine mangelhaften Moralbegriffe niemals dulden. Doch konnte sie nicht umhin, ihm zuzugestehen, dass er intelligent und gebildet war und ein angenehmer Gesprächspartner.
“Möchten Sie hereinkommen und eine Erfrischung
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