Ein Gespür für Mord - Detective Daryl Simmons 1. Fall
Gelegenheit. Erneut ließ er seine Waffe auf ihn niedersausen. Diesmal traf er ihn aber lediglich am Rücken. Während Murgura verzweifelt hinter einem der Stützbalken auf der Veranda Schutz suchte, holte Ray bereits zum nächsten Schlag aus.
In diesem Augenblick wurde die Tür zum Aufenthaltsraum aufgestoßen. Ray hielt einen Moment inne und warf einen kurzen Blick auf Poison-Joe, der im Türrahmen stand. Dann schwang er den Eimer von Neuem durch die Luft. Zugleich packte ihn Poison-Joes riesige Hand am Unterarm, während sich die andere um seine Kehle legte. Langsam schob Poison-Joe den Jungen gegen die Blechwand. Als er den Druck verstärkte, ließ Ray den Eimer los, der scheppernd zu Boden krachte.
Inzwischen drängten die restlichen Männer nach draußen. Schweigend starrten sie zwischen Poison-Joe, Ray Hill und Murgura hin und her.
Daryl ging es nicht anders. Fasziniert beobachtete er, wie der alte Mann den Jüngeren scheinbar mühelos mit einer Hand an die Wand presste. Selbst als Ray wieder beide Hände frei hatte, gelang es ihm nicht, sich aus der eisernen Umklammerung zu lösen. Im Gegenteil. Je mehr er sich wehrte, umso mehr schlossen sich Poison-Joes Finger um seinen Hals. Die Leichtigkeit und Ruhe, mit der dieser seinen Gegner festhielt und ihn zu ersticken drohte, glich der einer großen Würgeschlange.
Gerade als sich Rays weit aufgerissene Augen zu verdrehen begannen und Daryl das Gefühl hatte, eingreifen zu müssen, lockerte Poison-Joe seinen Griff.
»Na, wie sieht’s aus, Baby-Ray«, fragte der alte Farmarbeiter eisig, »haben wir uns ein wenig beruhigt?«
Ray versuchte zu nicken, worauf ihn Poison-Joe augenblicklich losließ. Hustend sank der junge Mann auf die Knie. Er hielt sich die Kehle, rang keuchend mehrmals tief nach Luft und lehnte sich an die Hauswand.
»Was ist eigentlich in euch zwei Hornochsen gefahren?«, fuhr Poison-Joe die beiden Kontrahenten an. Murgura und Ray sahen sich hasserfüllt an, sagten aber kein Wort.
»Na schön, wie ihr wollt«, meinte Poison-Joe scharf. »Aber ich warne euch: Wenn ihr diese Show noch einmal abzieht, dann kriegt ihr’s mit mir zu tun. Und nun verzieht euch in den Waschraum. Der Boss kann jede Minute landen. Wenn er euch so sieht, dann habt ihr das letzte Mal auf Mount Keating gearbeitet.«
Als Murgura später den Aufenthaltsraum betrat, waren die Männer längst mit ihrem Frühstück fertig. Einige saßen beisammen und spielten Karten, andere unterhielten sich oder blätterten in alten Zeitschriften. Keiner von ihnen schien sich jedoch hundertprozentig auf das zu konzentrieren, was er gerade tat. Eine merkwürdige Stimmung lag in der Luft, fand Daryl. Sie erinnerte ihn an jene Minuten vor einem Gewitter, in denen elektrische Spannung in dunklen Wolken darauf wartete, sich in Blitz und Donner zu entladen.
Murgura nahm an einem leeren Tisch Platz und wartete, bis ihm die Köchin einen Teller Bohnen mit Speck und eine Kanne Tee auf den Tisch stellte.
»Um was ging’s denn vorhin?«, fragte sie neugierig.
»Privatsache, geht niemanden was an«, antwortete der Aborigine kurz angebunden.
»Privatsache also, na prächtig.« In ihrer unnachahmlichen Art stemmte Mrs. Sharp die Fäuste in ihre gepolsterten Hüften. »Auf jeden Fall solltet ihr euch benehmen und euch nicht in aller Öffentlichkeit prügeln.«
Nachdem sie zu Daryl, der den Abwasch übernommen hatte, zurückgekehrt war, zwinkerte sie ihm verschwörerisch zu. »Langsam macht es mir richtig Spaß, dem Kerl Abführmittel ins Essen und in seinen Tee zu mixen«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Vielleicht sollten wir das bei Ray auch mal versuchen.«
Kurz darauf betrat Ray Hill den Raum. Wie zuvor Murgura, folgten nun auch ihm die verstohlenen Blicke der anderen Männer. Als er sich bei Mrs. Sharp eine Tasse Tee holte, sah Daryl, dass seine Unterlippe aufgeplatzt war und noch immer leicht blutete.
Mrs. Sharp hielt ihm eine frische Serviette hin. »Deine Lippe blutet, Kleiner.«
Ray nahm sie wortlos, presste sie gegen seine Unterlippe und setzte sich ans Ende eines Sechsertisches. Dann starrte er in seinen Becher.
»Männer«, stieß die Köchin kopfschüttelnd hervor. »Frauen, Alkohol und Machogehabe, mehr haben sie nicht im Kopf. Aber wehe, sie kriegen selbst mal eins aufs Maul, dann werden sie ganz klein und weinerlich.«
Die Tür ging erneut auf und Martin Barrow trat ein. Nun schlug die Stimmung schlagartig um.
»Guten Morgen, Männer«, begrüßte Barrow sie und stellte
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