Ein Glas voll Mord
oberen Weide. Ich hatte ihn gebeten, da ein paar Zaunpfähle auszubessern.« Er zeigte ihm die Richtung, und Rhys ging los.
Er glaubte nicht wirklich, dass es wichtig war, ob er Neddick fand oder nicht. Rhys kannte diesen Schlag Menschen. Sie besaßen die Wachheit wilder Tiere, aber nicht immer den Tieren angeborenen Sinn für Anstand – und sie waren gieriger als jedes Tier. Neddick würde Rhys wissen lassen, was er ihm sagen wollte, ob sie sich nun von Angesicht zu Angesicht begegneten oder nicht.
Sam Neddick kam als Verdächtiger sowieso kaum in Frage. Wenn er Mrs. Treadways Tod gewünscht hätte, wäre sie einfach gestorben – und es hätte keine merkwürdigen Fundstücke gegeben, die eine kluge Frau wie Janet Wadman hätten stutzen lassen. Henry Druffitts Tod war vielleicht eher Sams Stil, aber ein Faktotum wie er hätte genug gewusst, um die richtige Art von Wunde zu schlagen.
So, wie der Fall aussah, hatte der Mörder mehr Glück als Verstand gehabt – und diese Verteilung wäre sowohl bei einem verschreckten Häschen wie Gilly als auch bei einer plumpen Opportunistin wie Marion möglich. Aber er wusste, dass er jetzt noch keine Theorien aufstellen durfte. Es gab noch zu viele merkwürdige Faktoren zu enträtseln, zum Beispiel Charles Treadways Waschzuberpatent.
Er wünschte, Elizabeth Druffitt hätte ihn nicht so geschickt und schnell aus dem Haus manövriert, als Jason Bain aufgetaucht war. Andererseits war es ein wunderbares Beispiel dafür gewesen, was einer rücksichtslosen und schlauen Frau zuzutrauen war. Er konnte sich durchaus vorstellen, dass Elizabeth für Geld töten würde – aber sie wusste seit langem, dass sie in Agatha Treadways Testament nicht berücksichtigt würde, und sie brauchte auch kein Geld. Dank der Hinterlassenschaft ihrer Eltern und ihrer Sparsamkeit würde sie nie Hunger leiden, auch wenn ihr Mann unfähig gewesen war, sein Geld bei sich zu behalten. Durch ihre Vorliebe für Familienfehden, ihre Knauserigkeit und ihre herrische Art war Elizabeth Druffitt eher ein potentielles Opfer als eine Mörderin. Versuchte jemand, sie aus dem Weg zu räumen, und mussten deshalb erst ihre Tante und dann ihr Ehemann eliminiert werden? Das wäre allerdings eine seltsam umständliche Annäherung an das Opfer.
Wie Rhys schon erwartet hatte, war die obere Weide leer. Obwohl eine Reihe neuer Pfähle bewiesen, dass Neddick kurz zuvor da gewesen sein musste. Ein Grauhäher inspizierte Sams getane Arbeit. Rhys betrachtete den kanadischen Vogel eine Weile, dann spazierte er zurück zu dem grauen, schwerfälligen Herrenhaus. Dort traf er auf Gilly Bascom, die gerade die Betten machte.
»Lassen Sie nur, ich mach das schon.« Geschickt wie eine geübte Hausfrau legte Rhys die Steppdecken glatt über die Laken. »Es gibt ja eine Menge Arbeit in einem Haus dieser Größe.«
»Und sehr wenig Hilfe, das kann ich Ihnen sagen. Danke, Madoc.«
Gilly stopfte eine zweifarbige Strähne zurück in ihr Haarband. Es war immer noch das schwarze Samtband, obwohl sie die Trauerkleidung bereits durch eine bedruckte Kittelschürze ersetzt hatte, die einer älteren und größeren Frau besser gestanden hätte.
»Werden Sie hier wohnen bleiben?«, fragte er, um ein Gespräch in Gang zu bringen.
»Ich weiß nicht. Meine Mutter jedenfalls will das. Das Haus, in dem ich vorher gewohnt habe, passte ihr nicht. War ihr nicht großartig genug.« Gilly schmiss ein Kissen auf das Bett und brachte es mit ein paar gezielten Schlägen in Form. »Mama wär’s egal, wenn ich hier achtzehn Stunden am Tag schuften müsste – Hauptsache, sie kann einmal im Jahr ihr Damenkränzchen hier hochschleppen und denen zeigen, in was für herrschaftlichen Verhältnissen ihre Tochter lebt.«
Darauf fiel Rhys keine taktvolle Antwort ein, also schwieg er. Sie machten die übrigen Betten gemeinsam, dann fegte er den gestrichenen Dielenboden, während sie Staub wischte. Schließlich bemerkte Gilly: »Na, wenigstens sehen die Zimmer jetzt ganz ordentlich aus. Mein altes Haus habe ich nie ganz sauber gekriegt, egal, wie sehr ich mich bemüht habe.«
»Trotzdem tut es Ihnen leid, dass es abgebrannt ist?«
»Irgendwie schon. Es war nur eine Hütte – und Gott weiß, ich habe darin nicht viel Schönes erlebt –, aber sie gehörte mir. Nicht wie dieses Haus hier; es soll zwar zur Hälfte mir gehören, aber für mich wird es immer Tante Aggies Haus sein. Wenn ich kein eigenes Zuhause habe, fühle ich mich irgendwie … heimatlos. Als ich
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