Ein Glas voll Mord
den er nicht direkt ansprechen wollte? Oder versuchte er Rhys auf taktvolle Weise zu verstehen zu geben, dass er in Pitcherville erfolglos bleiben sollte? Oder hatte Fred Olson aus Versehen etwas durchsickern lassen, oder vielleicht sogar Janet selbst? Oder hatte Neddick das Zweite Gesicht? In manchen Provinzen Kanadas gab es Menschen mit Ahnen im schottischen Hochland. Rhys fühlte ein unangenehmes Stechen in der Magengrube. Es war ein schlechtes Zeichen, wenn bei einem Fall von Anfang an so viel schief ging wie bei diesem hier.
Gilly Bascom war – trotz allem – immerhin gut erzogen. Als sie merkte, dass Rhys tatsächlich keine Fragen mehr beantworten würde, tat sie das einzig Richtige: Sie wechselte das Thema. »Meine Mutter ist sauer auf dich, Dot. Sie wollte, dass du die Schlafzimmer machst, sobald Onkel Clarence und Onkel Edgar abgefahren waren.«
»Oh verdammt, ich hab’s vergessen! Und da fällt mir ein, ich hab auch meine Tasche mit den Schlafsachen bei Ihrer Mutter vergessen. Ich kann ja Janet beim Dinner helfen und Sam fragen, ob er mich hinterher zurückfahren kann. Dann kann ich bei Ihrer Mutter noch was sauber machen, und zum Supper bin ich wieder bei den Wadmans.«
Dot schien ganz entzückt von der Aussicht auf all dieses Hin und her. Weil Rhys nicht wusste, dass die Verzückung ihren Grund hauptsächlich in der Aussicht hatte, zweimal bei den Wadmans essen zu können, dachte er, dass sie sich auf all den brühwarmen Klatsch freute, den sie zwischen dem Hügel und dem Dorf verstreuen könnte. Sie war ganz ohne Zweifel die Tochter ihrer Mutter. Aber wahrscheinlich nicht die ihres Vaters, dachte er boshaft.
Er setzte seine beiden Mitfahrerinnen beim Herrenhaus ab und ging allein rüber zu den Wadmans. Er wollte ihnen die schlechten Nachrichten persönlich überbringen, bevor Dot das tun würde. Er fand Janet lesend in einem Schaukelstuhl auf der Veranda. Sie sah schon etwas weniger zerstört aus als vorhin.
»Wie kommst du mit Marion aus?«, fragte sie. »Ich habe gesehen, wie ihr vorhin zusammen weggefahren seid.«
»Marion ist kein Problem. Der Rest allerdings ist ein großes. Wo ist dein Bruder?«
»Unten im Stall, melken, nehme ich an. Warum, was ist denn?«
»Ich hatte gehofft, ich könnte mit ihm reden, bevor euer Hilfsarbeiter es tut. Dieser Sam hat nämlich Dot gesagt, dass ich ein Polizist in Zivil bin, und Dot hat es ihrer Mutter erzählt. Hast du irgendeine Idee, wie er das rausgefunden hat?«
Während er sprach, betrachtete er Janets müdes, fein geschnittenes Gesicht genau – aber alles, was er sah, war Ärger und Resignation.
»Es ist meine Schuld«, sagte Janet bitter. »Ich hätte dich vor Sam warnen müssen. Frag mich nicht, wie er’s rausgefunden hat, aber ich hätte wissen müssen, dass er es rausfindet. Er weiß immer alles.«
Ihr Blick wurde wieder gehetzt. Rhys verspürte den Drang, ihre gesunde Hand zu nehmen und sie zu streicheln, aber er riss sich zusammen. Er versuchte, sie mit ein paar freundlichen, aber unverbindlichen Worten zu trösten, und ging zu den Ställen. Bert war da, er melkte noch nicht, sondern harkte Stroh und Dung aus den Boxen. Er hielt den Stall ebenso sauber wie Janet die Küche. Eine anständige, bescheidene, fleißige Familie, diese Wadmans.
»Hallo, Vetter Madoc! Wolltest du mal gucken, wie ein Farmer so sein Geld verdient?«
»Danke, das weiß ich schon. Ich hab selbst schon genug im Dreck gewühlt. Den Vetter kannst du weglassen, Bert.«
»Was ist denn los mit dir?«
»Dein Sam hat’s dir also noch nicht erzählt? Um nicht um den heißen Brei drumherum zu reden: Ich bin ein Detective Inspector der RCMP .«
Bert hielt Rhys’ Ausweis mit ausgestrecktem Arm von sich weg und kniff die Augen zusammen, um lesen zu können, was darauf stand, denn seine Brille war im Haus. Als er Rhys den Ausweis zurückgab, sagte er nur: »Weiß Janet es schon?«
»Janet ist der Grund, warum ich hier bin.« Rhys erklärte Bert die näheren Umstände, so genau, als würde er einen Bericht schreiben. Bert schüttelte ungläubig den Kopf.
»Warum, zur Hölle, hat sie mir das alles nicht erzählt?«
»Sie nahm an, wenn du’s wüsstest, wärst du in Gefahr.«
»In Gefahr? Mein Gott, es ist doch niemand hinter uns her, oder?«
»Wenn du mich so fragst: Möglich ist es schon. Hast du eine Ahnung, wo ich deinen Sam finden könnte?«
»Verdammt, er ist nicht mein Sam. Sam ist so sehr sein eigener Herr wie kaum einer sonst. Versuch es mal auf der
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