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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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für die allgemein bekannte Widerstandsfähigkeit der Italiener gegenüber Naturkatastrophen. Das Erdbeben verwirklicht das, was das Gesetz verspricht und in Wirklichkeit nicht hält: die Gleichheit aller Menschen. Eine Nachbarin von uns, eine Bäckerin, wurde bei einem Erdbeben für mehrere Tage unter ihrem völlig zerstörten Haus begraben, ohne indessen den geringsten Schaden zu nehmen. Da die Arme gar nicht begriffen hatte, daß es sich um ein allgemeines Unglück handelte, sondern vielmehr glaubte, daß nur ihr Haus allein auf Grund eines Konstruktionsfehlers oder als Folge einer Verwünschung durch irgendwelche Neider zerstört worden war, lebte sie in der größten Verzweiflung, und als man sie aus den Trümmern herausziehen wollte, weigerte sie sich entschieden dagegen. Sie beruhigte sich erst wieder und schöpfte neuen Lebensmut und den Entschluß, ihr Haus neu aufzubauen, als sie erfuhr, daß es sich um ein Erdbeben gehandelt hatte und daß unzählige Häuser eingestürzt waren. Viel schlimmer als die Naturkatastrophe selbst war in den Augen der armen Leute der staatlich unterstützte Wiederaufbau, da dieser von zahlreichen Intrigen, Unterschlagungen, Diebstählen, Verbrechen, Betrügereien und Schändlichkeiten jeder Art begleitet war. Ein Bekannter von mir war von einer der mit dem Wiederaufbau beauftragten staatlichen Behörden entlassen worden. Er machte mir eine Reihe genauer Angaben über die Korruption der leitenden Ingenieure seines Amtes, die mich zwar keineswegs überraschten, aber stark beeindruckten. Ich hatte nichts Eiligeres zu tun, als sie einigen angesehenen Persönlichkeiten mitzuteilen, die mir als rechtschaffen und ehrbar bekannt waren und die ich bat, diese Vergehen anzuzeigen. Diese achtbaren Männer setzten in die Glaubwürdigkeit meiner Informationen nicht die geringsten Zweifel. Im Gegenteil, sie konnten sie sogar selber bestätigen. Dennoch rieten sie mir ab, mich in diese Dinge einzumischen. „Du bist noch jung", meinten sie herzlich, „du mußt daran denken, etwas zu lernen und dir eine Stellung zu schaffen, und solltest dich nicht durch Angelegenheiten kompromittieren, die dich nichts angehen." „Gern", antwortete ich, „sicher ist es besser, wenn die Anzeige nicht von einem siebzehnjährigen Jungen kommt, sondern von erwachsenen, angesehenen Personen." – „Wir sind doch nicht verrückt", antworteten mir die Herren entsetzt. „Wir beabsichtigen, uns nur mit unseren eigenen Angelegenheiten und mit nichts anderem zu beschäftigen." Danach sprach ich mit einigen ehrwürdigen Priestern und auch mit einigen mutigen Personen aus meiner Verwandtschaft. Alle gaben zu, über die Schändlichkeiten bereits orientiert zu sein. Sie beschworen mich jedoch, nicht ins Wespennest zu stechen, sondern an Schule, Karriere und Zukunft zu denken. „Mit Vergnügen", antwortete ich, „aber ist einer von euch bereit, die Diebe anzuzeigen?" – „Wir sind doch nicht verrückt", antworteten sie empört. „Das sind Dinge, die uns nichts angehen."
    Ich begann darauf ernsthaft darüber nachzudenken, ob nicht eine neue „Revolution" am Platze sei, die in dem Abbrennen der korrupten Behörden gipfeln würde. Aber der Bekannte, der mir von den übeltaten der Ingenieure erzählt hatte, riet mir davon nur ab, weil auf diese Art sämtliche Beweise vernichtet würden. Er war älter und erfahrener als ich. Er schlug mir statt dessen vor, einen Zeitungsartikel zu schreiben. „Aber für welche Zeitung?" „Es gibt nur eine Zeitung", erklärte mir mein Bekannter, „die ein Interesse daran haben kann, derartige Artikel abzudrucken; das ist die sozialistische Zeitung." So kam es, daß ich drei Artikel schrieb, die ersten in meinem Leben, in denen ich die verdächtigen Geschäfte der staatlich angestellten Ingenieure in meiner Heimat in allen Einzelheiten aufdeckte. Ich schickte sie dem Avanti . Die beiden ersten wurden sofort gedruckt und erregten großes Aufsehen, während der dritte nicht mehr erschien. Wie ich später erfuhr, hatte ein führender Sozialist bei der Redaktion interveniert. Auf diese Weise wurde mir klar, daß die uns bedrückende Korruption viel größere Ausmaße besaß, als es zunächst den Anschein gehabt hatte und sich sogar auf sozialistische Kreise erstreckte. Doch die beiden Artikel, die ich in der Zeitung hatte unterbringen können, enthielten noch genug Material für mehrere Prozesse oder zum mindesten für eine disziplinarische Untersuchung durch das Ministerium. Aber es geschah

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