Ein Grausames Versprechen
bitte Bescheid geben, wenn Mrs. Kennedy sich bei Ihnen meldet?«
Die Frau las die Karte. »Muss ich mir Sorgen um sie machen?«
»Bitte rufen Sie an, wenn sie sich meldet«, sagte Ella. »Danke für Ihre Zeit.«
Im Wagen legte Murray den Sicherheitsgurt an. »Mrs. K. erweist sich als richtiges Organisationstalent.«
»Wir müssen die Sache mit diesen Angehörigen in Übersee überprüfen«, sagte Ella, ließ den Motor an und fuhr los.
»Ich vermute, sie war es«, sagte Murray. »Sie hat die Geschichte mit Helen Flinders herausgefunden und ist ausgerastet. Auch wenn sie ihn nicht persönlich erstochen hat, ich wette, sie steckt dahinter.«
»Das leitest du alles aus ihrem Verschwinden ab?«
»Und weil sie die Beerdigung verschoben hat und ihre Bankauszüge nicht herausrücken wollte.«
»Vielleicht hat sie Angst«, sagte Ella. »Vergiss nicht, sie hat diesen Zettel gesehen, sie weiß, dass James den Namen Thomas Werner genannt hat.«
»Von dem sie angeblich noch nie gehört hat.«
Ella hielt an einer roten Ampel. »Vielleicht hat sie gelogen.«
Im St. Vincent’s Hospital rief Joe die Zentrale an und teilte mit, wo sie waren und was sie taten. Über Laurens Proteste hinweg ließ er sie von der Schwester, die die Eingänge beurteilte, in den Computer eingeben und zwang sie, stillzustehen, während die Schwester sich ihre Lippe ansah. »Sie hat außerdem eine Schnittwunde am Rücken«, sagte er.
»Die ist alt«, sagte Lauren. »Kein Problem.«
»Soll der Arzt sie trotzdem ansehen?«
»Nein«, sagte Lauren.
»Doch«, sagte Joe, »doch, das soll er.«
»Wir schieben Sie zwischen zwei Patienten rein, ein Arzt soll rasch einen Blick auf Sie werfen und fertig«, sagte die Schwester. »In der Zwischenzeit können Sie sich eine Eispackung an die Lippen halten, wenn Sie wollen.«
»Ich hole eine«, sagte Joe und eilte davon.
Lauren lehnte sich an die Wand. Ihre Lippe pochte schmerzhaft, aber sie wollte es nicht zugeben. Eine geschwollene Lippe war ohnehin nichts im Vergleich zu ihrem Rücken. Morgen würde die Schwellung abgeklungen sein und die Lippe so gut wie neu.
»Es gibt keine Eispackungen.« Joe war wieder da und hielt eine Plastiktasse in der Hand. »Ich hab nur die hier bekommen.«
Lauren sah zwei Eiswürfel am Boden der Tasse umherrutschen. »Das macht nichts.«
»Doch.« Joe zupfte ein Papiertuch aus einem Karton auf dem Schwesterntisch, faltete es um einen Eiswürfel und drückte ihn sanft an Laurens Lippe. Er sah ihr in die Augen. »Tut mir leid wegen meines Kopfstoßes.«
»Es war ja keine Absicht«, murmelte sie um den Eiswürfel herum.
Er sah sie weiter an. Seine linke Hand, die immer noch die Plastiktasse hielt, ruhte auf ihrer Schulter.
Lauren wurde sich ihrer Umgebung brutal bewusst: die Schwester, die neugierig in ihre Richtung blickte, ein Arzt, der irgendwo laut und langsam die Wirkungsweise eines Schlaganfalls erklärte. Sie konnte Joes Schweiß riechen und den Gestank des Verrückten, der an ihnen haftete. Ihre Hände kribbelten, während ihre Lippe taub wurde. Die Kälte stand im Kontrast zu der Hitze, die sie überflutete.
»Joe.«
»Ich kann ihn nicht ruhig halten, wenn du redest.«
Das Eis schmolz, und das Wasser lief ihm über das Handgelenk, tropfte auf Laurens Bluse und drang bis zur Haut durch. Er blinzelte langsam. In der tiefbraunen Iris seiner Augen gab es gelbe Sprenkel. Sie wandte den Blick ab.
»Joe.«
»Nicht reden.«
Sie sah ihn wieder an. Er lächelte ihr zu, und das war es, sie konnte nicht anders, sie beugte sich vor, an dem Eiswürfel in seiner Hand vorbei, und drückte ihre Lippen auf seine. Sie waren so weich, wie sie es sich vorgestellt hatte, und sie schmeckte Lippenbalsam und Kaffee, und dann sah sie die Überraschung in seinen Augen und löste sich. O Gott …
»Tut mir leid«, flüsterte sie.
Er blickte zur Seite, in Richtung Schreibtisch.
Die Schwester. Sie saß hinter dem Computer, außer Sichtweite. Sie konnte nichts gesehen haben, vorausgesetzt, sie hatte genauso dagesessen, als es passierte. Lauren hoffte, dass sie nicht mit Claire befreundet war.
»Es tut mir leid«, wiederholte sie.
Joe lächelte sie an. »Siehst du, ich wusste, es ist mehr dahinter als eine geschwollene Lippe. Du hast eine Kopfverletzung. Eine Gehirnerschütterung. Du hast offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank, und zwar gehörig.«
Ganz im Gegenteil.
Bei der Besprechung am späten Nachmittag waren alle ernst. Die Türen waren verschlossen,
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