Ein guter Mann: Roman (German Edition)
dabei, dass er dauernd auf die Uhr sah. Null plus vier Minuten, null plus sechs Minuten. Sie würden schon da sein.
Über dem Land lag eine unglaubliche Stille, vor seinen Füßen summte eine Erdwespe herum und untersuchte seine Stiefel. Zwei Meter weiter blühte eine violette Malve, und auf einer dieser Blüten saß ein Blutstropfen. Anna-Maria, ich habe in der vergangenen Nacht gedacht, dass du möglicherweise ganz gern in meiner neuen Wohnung herumtollen willst, dachte Müller.
»Charlie«, kam es aus dem Lautsprecher, »setz dich hinters Steuer und komm her. Wenn der Weg sich zur Scheune senkt, lass den Bus stehen.«
Er fuhr den Bus dorthin, hielt an, und zu seiner Verblüffung stand die ganze Gruppe in der scharfen Linksbiegung, die zu der Scheune hinunterführte.
»Keine Gefahr«, sagte Schneider. »Aber alles verstrahlt. Das Grab gibt es auch. Auch verstrahlt. Wir gucken gleich, wer drinliegt. In der Scheune steht ein Kleinlaster, darin stehen drei unversehrte Pakete mit Kobalt. Das heißt, dass wir fünfundsiebzig Prozent des verschwundenen Materials gefunden haben. Ein Paket wurde geöffnet, der Inhalt ist verschwunden, nur Reste sind an der Werkbank nachweisbar. Und offensichtlich hat sich niemand die Mühe gemacht, Spuren zu vertuschen. Wenn du mich fragst, sind das ganz miese Zeichen. Und ich stehe jetzt vor dem Problem, dass ich bei meiner Meldung ein riesiges Chaos auslöse, weil sie alle kommen wollen. Und weil ich niemanden kenne, der sie davon abhalten kann. Das betrifft sämtliche beteiligten Ministerien ebenso wie das Kanzleramt, das federführende Innenministerium, das neue Amt für Terrorismusbekämpfung wie den Militärischen Abschirmdienst, den Verfassungsschutz, das Landeskriminalamt Berlin, das Bundeskriminalamt und das Bonner Amt für Krisen. Weißt du was, Charlie? Ich erhöre in diesem Moment jeden, der meinen Job übernehmen will.«
Ein paar der Männer lachten unterdrückt.
»Haben wir eine Vorstellung, wie die Strahlung wirkt?«, fragte Müller.
Schneider nickte. »Die Krebsrate in der unmittelbaren Umgebung erhöht sich augenblicklich um fünfhundert Prozent, das heißt, Krebs wird sich auch bei Leuten zeigen, die normalerweise bis zu ihrem Tod nicht davon betroffen sind.«
»Wie lange kann ich diese Strahlung ohne unmittelbare Folgen aushalten?«, fragte Müller.
»Vorsichtig geschätzt zwei bis drei Minuten, anschließend bist du ein Todeskandidat. Direkte Folgen sind schwere Übelkeit mit Erbrechen, Haarausfall und Wunden auf der Haut, die wie Verbrennungen aussehen. Also dieselben Erscheinungen, wie sie bei bestimmten Bestrahlungstherapien auftreten.«
»Hör zu«, sagte Müller. »Ich muss wissen, wer in dem Grab liegt.« Dann überlegte er Schneiders Situation. »Ich würde dir raten, dir Zeit zu nehmen und mit deinem Chef zu sprechen. Ihr müsst vermeiden, dass hier ein Chaos entsteht und der Tatort versaut wird. Und die Journalisten auf dem verstrahlten Boden rumrobben. Hast du irgendeine sichere Direktleitung? Aber noch einmal: Ich muss wissen, wer in dem Grab liegt. Jetzt.«
»Okay. Kalli und Bruno. Schaut in dem Grab nach.«
»Ich muss selbst reinsehen«, sagte Müller.
»Dreißig Sekunden, nicht mehr«, bestimmte Schneider. Dann ging er abseits, um zu telefonieren.
Es dauerte acht Minuten, bis jemand quäkend über die Lautsprecher kam. »Wir haben den Toten frei. Zumindest das Gesicht.«
Müller nickte. »Ich gehe jetzt hin.«
Jemand bemerkte: »Dreißig Sekunden. Gott schütze deine Eier.«
»Danke«, murmelte Müller und ging los.
Achmed, mach jetzt keinen Scheiß. Zeig mir, dass du nicht in dieser Erde liegst. Im Grunde war der Platz vor der Scheune idyllisch und grün, heimelig fast. Ideal für einen Friedhof.
Die beiden in den Schutzanzügen traten beiseite.
Der Mann, der in der Erde lag, war nicht Achmed. Nach der vagen Beschreibung konnte es Dimitri der Riese sein.
»Das hat gut getan«, seufzte Müller erleichtert und ging wieder davon.
Schneider kam zu ihm und sagte: »Okay, wir haben eine Entscheidung getroffen. Wir müssen hier abhauen. Wir wollen keine Medien. Wir sperren ein Quadrat von etwa sechs Kilometern Seitenlänge vollkommen ab. Die Einheiten der Schutzpolizei werden mit Bussen angekarrt. Die sind schon unterwegs. Zusätzlich haben wir etwa zehn Streifenwagen zur Verfügung. Will heißen: Hier wird alles dicht gemacht, wie Spiderman sagen würde. Wir können dann verschwinden, eine Pressekonferenz wird es im Innenministerium geben,
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