Ein gutes Herz (German Edition)
können. Dann behalten sie eben sechs weibliche Passagiere zurück. Das ist unerquicklich, aber wir müssen Schritt für Schritt vorgehen, Stunde für Stunde. Wir müssen pragmatisch sein. Jeder Passagier, der freikommt, ist einer weniger. Gib das an Dubois weiter.«
Van der Ven nickte und erhob sich, um zu gehen. Doch er blieb stehen, als sein Handy klingelte. Mit dem Apparat am Ohr nickte er und sagte: »Ich werde es ihm sagen.« Er unterbrach die Verbindung und wandte sich an Donner: »Cohen ist eingetroffen. Ohne den Ministerpräsidenten, der ist noch in Amsterdam. Sie bringen ihn ins Besprechungszimmer.«
Donner lief durch den lauten Saal zu einem Raum, der schalldicht isoliert worden war. Mit welchen Techniken all diese Leute um ihn herum arbeiteten, war ihm nicht bekannt, aber er wusste, welchem Zweck sie dienten: Man hörte jetzt massenhaft Telefonate ab, vor allem von Marokkanern, die als Radikale galten, sowie von den Angehörigen der Fußballer. Auch die Unterhaltungen im gekaperten Flugzeug wurden mit speziellen Apparaturen abgehört. Sämtliche Informationen über die Jagd auf die fünf verschwundenen Jungen liefen hier zusammen und wurden geordnet. Ein Szenario, das auf der Hand lag, hatte sich bestätigt: Zwei Jungen der Fußballmannschaft hatten auf dem Flughafen als Belader gearbeitet. Derartige Sicherheitsrisiken waren bekannt, und man hatte auch schon vor Jahren das Screening verschärft, doch die Vorgeschichte der Jungen hatte nichts Verdächtiges ergeben, sie schienen nicht sonderlich gläubig zu sein, tranken Alkohol, gingen aus, interessierten sich nicht für Politik. Sie besuchten Kurse, bauten sich eine Zukunft auf. Zu diesen beiden konnte genauso wenig ein Kontakt hergestellt werden wie zum Sohn von Ouaziz. Sie gehörten zu den elf, von denen wahrscheinlich sechs an Bord des Flugzeugs waren und fünf möglicherweise an einem anderen Ort noch etwas anderes vorbereiteten.
Ein Polizist, der vor dem schalldichten Raum stand, öffnete die Tür.
»Herr Minister«, sagte er mit einem Nicken. »Ihr Gast ist bereits anwesend.«
Donner betrat den Raum. Die Tür wurde leise hinter ihm geschlossen.
»Hallo, Job«, sagte Donner.
Cohen blickte auf einen Fernsehschirm, die Ellbogen auf dem Tisch, müde Augen, graues Gesicht, Rundrücken, gekrümmt wie unter Peitschenhieben. Er schaute erst auf, als er angesprochen wurde. Ohne sich zu erheben, reichte er Donner die Hand. Auf dem Tisch standen zwei kleine Flaschen Wasser, ohne Gläser. Donner setzte sich und schraubte den Verschluss der einen Plastikflasche auf.
»Ein Grüppchen stinknormaler marokkanischer Unruhestifter, PH «, sagte Cohen mit matter Stimme.
Er gehörte zu den wenigen, die Donner mit PH ansprachen. Das erweckte den Anschein einer Vertrautheit, die nie zwischen ihnen bestanden hatte. Sie kannten sich schon seit vielen Jahren von der politischen Bühne, respektierten einander, hatten sich aber nie gegenseitig ins Vertrauen gezogen. War auch nie ein Thema gewesen.
Cohen starrte weiterhin auf den Bildschirm und fuhr fort: »Nicht mal in Afghanistan geschult. Autodidakten. Selbsttraining. In der Veluwe. Allmachtsphantasien. Verwirklichung des großen pubertären Traums. Alles kaputtmachen. Schaut mal, wie stark wir sind. Wir schlagen alles kurz und klein. Fußballer. Noch dazu gute. Manche von ihnen stehen auf den Talentlisten der Scouts von Topmannschaften. Ein paar mit guten Schulzeugnissen. Die meisten mit höherer Schulausbildung, keine Jungs, für die eine weiterführende Berufsausbildung zu hoch gegriffen wäre. Sie hatten alle eine Zukunft. Okay, sie mussten alle einen Rückstand einholen, aber das gilt für jedes Kind mit Migrationshintergrund. Sie hatten keinen Grund, das aus blinder Wut zu tun. Sie sind keine unterprivilegierten Outcasts. Sie hatten Chancen, PH . Aus jedem Einzelnen von ihnen hätte etwas werden können. In der Privatwirtschaft, im öffentlichen Dienst. Ihnen stand verdammt noch mal eine vielversprechende Zukunft offen. Wollten sie nicht. Es war spannender, das Opernhaus in die Luft zu jagen. Für Schlamassel zu sorgen. Und dann ein Flugzeug zu kapern. Gott, was für ein Spaß!«
Er sah Donner jetzt an. Mit gequältem, traurigem Blick.
»Ich habe es versucht, PH , das weißt du. Ich wollte immer alle mit einbeziehen. Ich habe in meiner Stadt keine Unterscheidung zwischen Bürgern erster und zweiter Klasse geduldet. Man hat mich beschimpft, weil ich erklärtermaßen für die Integration war. Das war den
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