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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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Familie, die immer dem Status quo gedient hatte. Der Status quo erhielt die Niederlande aufrecht und machte sie beherrschbar. Ihr Rückgrat bildeten Männer wie Donner, der rein äußerlich – so weit reichten seine Selbsteinschätzung und seine Selbstironie – nichts Besonderes ausstrahlte. Er sah aus wie ein grauer Diener der oberen Verwaltungsebene, und eben darin lag das Außergewöhnliche: Diese war sich ihrer sozialen und moralischen Verpflichtungen bewusst. Die niederländische Elite war nicht auf Gewinn, Luxus und Ansehen aus. Sie war so etwas wie das Öl im Räderwerk einer der glorreichsten Gesellschaften der Menschheitsgeschichte. Um diese niederländische Gesellschaft aufrechtzuerhalten, brachten manche Familien seit Generationen Bürokraten und Technokraten hervor. Keine charismatischen Politiker, sondern ernsthafte Regierungsbeamte. Aktenfresser. Arbeitsameisen. Die durch Wind und Wetter auf dem Fahrrad in ihr Ministerium strampelten. Die keinen Wert auf Anzüge von Brioni legten. Auf eine fette Rolex. Einen Bentley. Die Gesellschaft musste funktionieren. Das Interesse des Staates stand immer an erster Stelle. Und das war der Blickwinkel, nein, die Lebenshaltung, aus der heraus Donner die jetzige Krise in den Griff zu bekommen versuchte.
    Ihm oblag die »vollstreckende Gewalt«. Bei jedem Schritt fühlte er die Last der Verantwortung, die er jetzt zu tragen hatte. Wenn es die Kontinuität und Souveränitat des Staates erforderte, konnte er selbständig und eigenmächtig auftreten. Sogar das Verteidigungsministerium war seiner Autorität unterstellt. Er verfügte über eine schier unbegrenzte Macht. Deren Last war atemberaubend schwer.
    Donner befand sich in einem gesichtslosen Saal – nichts hatte eine Farbe, alles war glatt und nackt, der Fußboden, die Büromöbel, und von den Männern, die hier arbeiteten, hatten auffallend viele kahlrasierte Schädel – des Grenzschutzes auf dem Flughafen Schiphol. Es hätte für ihn keinen Sinn gehabt, sich in Amsterdam aufzuhalten. Die Ermittlungen konzentrierten sich jetzt auf das Flugzeug. In Amsterdam standen die Rettungsaktionen im Vordergrund, soweit nunmehr sechs Stunden nach der Explosion noch etwas auszurichten war. Bis jetzt hatte man drei Tote geborgen und achtzig Verletzte, achtzehn davon schwer. Das war schlimm, aber nicht viel schlimmer als das, was der normale Straßenverkehr Tag für Tag an Tod und Leid verursachte. Und das war seine Richtschnur. Überstiegen die Kalamitäten das, was das normale soziale Leben an Menschenleben forderte? Die Zahl der Opfer zu bagatellisieren war natürlich unsinnig, aber es hätte schlimmer kommen können. Sie hätten abends zuschlagen können, während einer Vorstellung. Dass sie das nicht getan hatten – sie hatten sogar telefonisch vor einem Gasleck gewarnt; eine Lüge, aber eine, die dazu dienen sollte, die Folgen in Grenzen zu halten –, deutete darauf hin, dass es den Tätern nicht darum ging, willkürlich möglichst viele Ungläubige zu töten. Der Anschlag sollte Symbolcharakter haben, glaubte Donner. Vielleicht tat es ihnen selbst leid, dass es Tote gegeben hatte; wenn sie das Zeitfenster zwischen ihrem Anruf und der Explosion nur ein wenig großzügiger bemessen hätten, fünf oder zehn Minuten mehr, hätte das ausgereicht, um das gesamte Gebäude zu räumen, und es hätte vermutlich keine Toten gegeben. Amateure.
    Amateure aus Amsterdam-West. Donner hatte die Namensliste gesehen. Noch so jung. Ehrgeizig. Aber fehlgeleitet. Nicht unintelligent. Ein Anschlag in zwei Schritten. Das optimierte den Schock für die Gesellschaft. Zuerst Verwirrung stiften, die staatlichen Einrichtungen ein bisschen anknocken, aus dem Gleichgewicht und ins Wanken bringen, und dann das K.o. Der Sohn von Kicham Ouaziz war der Kapitän der Fußballmannschaft. Und somit auch der Anführer der Attentäter. Der Junge war schlau.
    Das Flugzeug war im Auftrag der Entführer mitsamt den Passagieren auf eine Parkposition gerollt worden. Schiphol hatte in der vergangenen Stunde zwei Bahnen aufmachen können. Die Flugpläne waren bereinigt worden. Tausende Reisende warteten auf ihren Abflug, einen Anschluss, Informationen.
    Ein Anschlag war ein klar zu identifizierender Vorfall. Ein Anschlag schuf Fakten und setzte Rettungsdienste unter Druck. Eine Flugzeugentführung dagegen schuf ein Dilemma. Man musste sich so oder so entscheiden. Gut oder schlecht. Entführungen und Geiselnahmen machten die Entscheidungsträger zu Mittätern.
    Die

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