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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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Kichie die Zimmernummer im zweiten Stock.
    Der Fahrstuhl brachte ihn hinauf. Mittags noch in der Zelle, jetzt in einem der teuersten Hotels der Niederlande. Als sich die Fahrstuhltüren öffneten, sah er zwanzig Meter weiter auf dickem Teppichboden, zwischen goldenen Schirmlampen, Max vor geöffneter Tür auf ihn warten. Kichie versagten fast die Beine. Es war elf Jahre her, dass er Max zum letzten Mal gesehen hatte.
    Er ging auf ihn zu, mit möglichst kontrollierten Bewegungen, und sah jetzt, dass Max’ Gesicht gealtert war, von Furchen durchzogen, mit – wie nannte man das noch? – Krähenfüßen um die Augen. Max trug schwarze Hose und schwarzes Hemd. Keine Schuhe. Er breitete die Arme aus, als Kichie näher kam, und kurz bevor sie einander umarmten und einige Augenblicke lang stumm die Wangen aneinanderdrückten, sah Kichie, dass er Tränen in den Augen hatte. Dann küssten sie sich auf die Wangen, dreimal, und klopften sich auf den Rücken, wie Männer das tun, wenn sie unbeholfen ihre Zuneigung ausdrücken wollen.
    »Mein lieber, guter Kichie«, sagte Max sanft.
    Kichie konnte nichts sagen, solange er nicht zu Atem gekommen war und seine Emotionen im Griff hatte.
    »Entschuldige«, sagte er, als sie sich voneinander lösten und in die feuchten Augen schauten.
    »Was hätte ich denn zu entschuldigen?«, fragte Max, während er ihn mit leichtem Grinsen, aber auch forschend ansah. »Du hast gesessen, nicht ich. Den Anzug kenne ich, Kichie, ich war dabei, als du ihn gekauft hast. Er ist dir jetzt zu weit. Du hast abgenommen.«
    »Ich hätte den Auftraggeber in Ruhe lassen sollen. Entschuldige«, sagte Kichie flüsternd.
    »Komm rein«, sagte Max, ohne auf diese Äußerung einzugehen.
    Kichie deutete mit dem Finger auf sein Ohr und danach auf das Zimmer. Max verstand, was er meinte, und nickte.
    »Was möchtest du trinken?«
    »Ach, ein Bier vielleicht.«
    Er folgte Max hinein. Weiche Beigetöne. Teures Mobiliar. Lachsfarbene Lampenschirme. Die Vorhänge waren nicht geschlossen, und das Fenster rahmte einen Teil des Flusses und eine Reihe von Herrenhäusern am gegenüberliegenden Ufer, die allesamt hell erleuchtet waren, als hätten die Bewohner Angst im Dunkeln. Niemand in der Stadt würde in dieser Nacht schlafen. Durch eine geöffnete Tür blickte Kichie in das Schlafzimmer der Suite. Max stellte den Fernseher an und zappte mit der Fernbedienung durch die Sender, bis er einen Videoclip mit dröhnender Gitarrenmusik gefunden hatte, die für Irritationen im Abhörmikrophon sorgen würde. Max nahm ein Heineken aus dem Kühlschrank der Bar und wies zum Esstisch.
    Sie setzten sich und steckten die Köpfe zusammen. Wie früher, wenn sie sichergehen wollten, dass keiner etwas hörte.
    Kichie konnte die Poren in Max’ Gesicht sehen. Seine Falten. Von der Sonne im Süden der USA ? Oder hatte er zu ausschweifend gelebt?
    »Du bist früher entlassen worden?«, fragte Max.
    »Ja. Nicht viel. Zehn Monate.«
    »Kichie«, flüsterte Max, »es hat nicht einen Tag gegeben, an dem ich nicht an dich gedacht habe. Ich wusste, für wen du sitzt. Ich werde dir das entgelten. Ich habe etwas für dich beiseitegelegt. Du brauchst dein Leben lang nicht mehr zu arbeiten. Nach all dem, worauf du verzichtet hast.«
    Kichie nickte. Er wusste, dass Max das sagen würde. Aber er wollte keinen Abschied und keine Auszahlung. Er wollte wieder mit Max zusammenarbeiten. Legal oder illegal. Spielte keine Rolle. Sein Leben würde jetzt endlich eine Fortsetzung haben. Nicht für lange, aber immerhin. Vielleicht gab es ja in Russland oder in China Spezialisten, die ihm helfen konnten. Man konnte nie wissen.
    »Ich danke dir, mein Freund«, antwortete Kichie. »Aber ich kann das nicht annehmen. Ich möchte dafür arbeiten. Für dich. Wie früher. Du hast für meine Frau und meine Kinder gesorgt. Du hast genug getan.«
    »Es hat sich vieles verändert, Kichie.«
    »Wir sind älter geworden, ja. Wie geht es dir? Bist du inzwischen verheiratet? Hast du Kinder? Was hast du in den vergangenen Jahren gemacht, Max?«
    »Zuerst Dummheiten, dann kam die Krankheit, und danach die Erlösung. In meinem Leben hat sich viel verändert. Ich hatte ein krankes Herz. Ich habe es kaputtgekokst und kaputtgesoffen. Dann bekam ich ein neues Herz. Ein gutes, starkes Herz. Das hat großen Eindruck auf mich gemacht. Ich will nicht zu dem Leben zurück, das ich früher geführt habe. Ich möchte etwas anderes tun. Gutes, verstehst du?«
    Kichie nickte. Max’ Worte enthielten

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