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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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unheimlich viel los. Es waren mehr Eltern da als sonst. Auch viele Väter. Alle standen auf dem Bürgersteig und auf der Straße herum und redeten, Autos kamen fast nicht mehr durch. Viele Leute hatten auch solche Räder mit einem Kasten vorne drauf, die sah man bei uns im Viertel ziemlich oft. Da saß dann ein kleines Kind drin oder ein Hund. Schon witzig. Mir war klar, warum so viel los war. Die hatten alle ein bisschen Angst. Nach dem, was passiert war, wollten alle gucken, ob es draußen wieder ruhig war. Ich sah Lia, und sie winkte mir zu. Es war mir eigentlich egal, was wir auf ihrer Party machen würden. Einfach nur neben ihr sitzen und einen Film angucken hätte ich auch total cool gefunden. Und dazu Cola trinken und Chips essen und so. Mama gab mir einen Kuss, und Leon wuschelte mir durchs Haar, als ich mein Fahrrad auf dem Schulhof in den Ständer gestellt hatte.
    Meine Klasse war ganz oben im zweiten Stock. Man konnte noch lesen, was früher in dem Gebäude gewesen war. »Allgemeines Bürgerliches Mädchenheim« stand da. Hier hatten Waisenmädchen gewohnt und Mädchen, die kein Zuhause mehr hatten. Ganz schön traurig. Ob es solche Heime wohl noch gibt? Vielleicht schon. Es kann ja sein, dass die Eltern sterben, durch einen Unfall oder irgendeine Krankheit, und wenn man dann keine anderen Verwandten hat, kommt man in so ein Heim. Ein altmodisches Wort ist das, »Heim«.
    Man sah dem Gebäude auch echt an, dass es alt war, das sah man an dem glatten Steinfußboden und den Steintreppen. Die hatten richtig schöne Eisengeländer, ganz verschnörkelt und so. Das Gebäude war zwar nicht so alt wie die Häuser an den Grachten, aber schon ziemlich alt. Hundert Jahre bestimmt.
    Es läutete zum ersten Mal. Dann musste man in seine Klasse gehen. Beim zweiten Läuten musste man still auf seinem Stuhl sitzen. Wir stürmten alle nach oben. Wir waren ein bisschen lauter als sonst. Alle Mütter und Väter standen ja noch unten. Als wir in der Klasse saßen, hörten wir sie draußen immer noch reden. Da unten war immer noch ein ziemliches Gewimmel, auch mitten auf der Straße. Manchmal lachte jemand, obwohl doch schlimme Sachen passiert waren. Das ist manchmal so, dass die Leute lachen wollen, auch wenn was ganz schlimm ist. Nach einer Viertelstunde wurde es stiller, da waren die meisten gegangen.
    Wir sangen ein Geburtstagslied für Lia. Marga, unsere Lehrerin, dirigierte uns wie ein Orchester. Das macht sie immer. Sie ist nicht sehr groß und ziemlich mager, und sie hat riesige Augen. In den Pausen steht sie immer draußen und raucht. Wenn man in ihrer Nähe steht, riecht man den Zigarettenrauch. Sie hat kurze Haare, und ihr Rücken ist ein bisschen krumm. Sie trägt immer weite schwarze Hosen. Ich glaube, dass Männer sie nicht besonders hübsch finden. Sie nimmt immer alles ganz genau, und wenn man nicht tut, was sie sagt, schreit sie.
    Lia hatte ein tolles blaues Kleid an, und sie hatte in Stückchen geschnittenes Obst für uns alle mitgebracht. »Exotische Früchte«, sagte sie. Wir durften in der Schule nämlich keine Süßigkeiten mehr verteilen, wenn wir Geburtstag hatten. Ich fand das doof. Alles musste gesund sein. Lias Eltern sind reich und hatten ganz teures Obst besorgt. Ich kannte das meiste, weil wir ja schon überall auf der Welt gewohnt haben, und ich wusste auch, wie viel man in Amsterdam dafür bezahlen musste. Die Früchte mussten ja mit dem Flugzeug aus Asien und Afrika und Südamerika hierher transportiert werden. Ich hatte mal einen Aufsatz darüber geschrieben. Lia ging mit einer großen Box rum, und jeder bekam ein Pappschälchen mit einem Stück Papaya oder Granatapfel oder Passionsfrucht oder einer Lychee. Als sie zu mir kam, kriegte ich zwei Schälchen und von allem zwei Stückchen. Sie tat, als ob das ganz normal war.
    Ich war eigentlich schon beliebt in der Klasse, und Johan war mein bester Freund, aber der guckte ganz neidisch, als er das sah. Ja, sie mochte mich und nicht ihn. Na ja, ihn schon auch ein bisschen, denn er ist wirklich okay, aber mich mochte sie viel lieber. Zum Glück.
    Wir hatten als Erstes Erdkunde. Darin bin ich ziemlich gut, weil ich oft auf die Karte geguckt hab, wenn wir wieder mal in ein anderes Land umzogen. Südafrika war dran. Da war ich noch nie gewesen. Die Niederländer sind da mal die Herrscher gewesen und haben mit den Engländern um das Land gekämpft. Es gibt dort immer noch Leute, die sich »Buren« nennen, obwohl sie keine Bauern sind. Ich guckte dauernd

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